Arbeitslosigkeit macht Quote im Wahlkampf

In der Landtagsdebatte zur Massenarbeitslosigkeit werfen sich Regierungsfraktionen und Opposition Versagen und Verantwortungslosigkeit vor. Gemeinsame Initiativen haben keine Chance. CDU verspricht dennoch Vollbeschäftigung

DÜSSELDORF taz ■ Ihre Wut auf CDU-Oppositionsführer Jürgen Rüttgers können die Sozialdemokraten kaum verbergen: „Sie versprechen eine Million Arbeitsplätze, also quasi Vollbeschäftigung“, ruft SPD-Fraktionschef Edgar Moron gestern bei der von der CDU beantragten Sondersitzung des Landtags zum Thema Arbeitslosigkeit. „Das glaubt Ihnen niemand. Das glauben Sie nicht einmal selbst“, erregt sich Moron – und klingt wie sein Ministerpräsident Peer Steinbrück. Auch der Regierungschef hatte Rüttgers‘ Klagen über die mehr als eine Million Arbeitslosen allein in Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen.

Um statistische Effekte bereinigt hätte die Arbeitslosenzahl schon am Ende der Regierung Kohl bei über fünf Millionen liegen müssen, ist Steinbrück überzeugt. „Und auf einmal wissen Sie, wie das geht, wie die Arbeitslosigkeit reduziert werden kann“, fragt Steinbrück seinen Herausforderer Rüttgers. Der liest währenddessen betont lässig in den Pressespiegeln des Landtags.

Zu Beginn der Debatte aber hatte Rüttgers die seit 39 Jahren regierenden Sozialdemokraten hart attackiert. „Eine Million Arbeitsplätze ist eine furchtbare Zahl, eine Zäsur für unser Land“ – noch einmal wirbt Rüttgers für seine Politik der Haushaltskürzungen, der Vereinfachung des Steuerrechts, der Förderung der Gentechnologie, den Ausbau von Straßen und Flughäfen. Durchgehen lassen will Steinbrück ihm das nicht: Die durch die Hartz-Gesetze des sozialdemokratischen Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, nach oben gedrückten Arbeitslosenzahlen seien „bedrückend, aber ehrlich“. Und überhaupt habe die Union Hartz über den Bundesrat nicht nur zugestimmt, sondern – etwa im Bereich der geringen Zuverdienstmöglichkeiten für Ein-Euro-Jobber – noch verschärft: „Sie sind einer der interessantesten Pirouettentänzer, die ich je erlebt habe“, wirft Steinbrück dem Oppositionsführer vor. „Erst stimmen Sie zu, dann geben Sie den Hartz-Generalrevisor, und jetzt heucheln Sie Entsetzen.“

Die im Vorfeld signalisierte Bereitschaft zu einer gemeinsamen Initiative von Koalition und Opposition geht so im Wahlkampf unter. Zu gering bleiben die Gemeinsamkeiten, zu verführerisch die Möglichkeit der Profilierung selbst auf Kosten der jeweiligen Partner. Noch einmal spricht sich Regierungschef Steinbrück gegen das geplante Antidiskriminierungsgesetz aus – und bleibt doch zur Untätigkeit verdammt: Bereits am Mittwochabend hatten die grünen Parteichefs Britta Haßelmann und Frithjof Schmidt angekündigt, notfalls die „Koalitionskarte“ zu ziehen und die im Koalitionsvertrag für den Streitfall vorgesehene Enthaltung im Bundesrat einfordern zu wollen. Und SPD-Fraktionschef Moron macht sich auch auf Kosten des grünen Energieexperten Reiner Priggen noch einmal für die verbliebenen 30.000 Jobs in der Steinkohle stark: „Der Ausstieg aus der Steinkohle bleibt die Manie des Herrn Priggen.“

Der Hintergrund: Während sich die Sozialdemokraten für den Plan des RAG-Vorstandsvorsitzenden Werner Müller erwärmen, den Ex-Kohlekonzern an die Börse zu bringen, fürchten die Grünen hohe Pensionslasten und Schadensersatzansprüche zu Lasten der Steuerzahler. Doch die punktuelle Übereinstimmung mit der Opposition trägt nicht. Auch Grüne und FDP liefern sich eine harte Debatte. „Die Grünen seien innovationsfeindlich, „müssen raus aus der politischen Verantwortung“, fordert der FDP-Fraktionsvorsitzende Ingo Wolf. Die Liberalen hätten die „Diskriminierung zum Programm“ erhoben, revanchiert sich die grüne Fraktionschefin Sylvia Löhrmann, stünden für soziale Kälte, spielten Wirtschafts- gegen Umweltinteressen aus.

Am Ende der Debatte stützt die rot-grüne Mehrheit den eigenen Antrag und damit Tarifautonomie, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. CDU und FDP finden keine Mehrheit. Gemeinsame Initiativen in Richtung Berlin, etwa die von Steinbrück vorgeschlagene Senkung der Krankenkassenbeiträge oder die Verlagerung der Lohnzusatzkosten auf Steuern aber haben keine Chance – schließlich hat der Wahlkampf längst begonnen.

ANDREAS WYPUTTA