Neonazis demonstrieren in Dessau

Begleitet von einer Gegendemonstration mit rund 1.000 Teilnehmern sind am Samstag etwa 300 Neonazis in einem „Trauermarsch“ durch Dessau gezogen. 60 Jahre nach ihrer Bombardierung kämpft die Stadt mit ihrer Geschichte

DESSAU taz ■ Unter dem Motto „Gesicht zeigen statt wegschauen“ haben am Samstag in Dessau rund 1.000 Menschen friedlich gegen einen Aufzug von 300 Neonazis zum 60. Jahrestag der Bombardierung der Stadt protestiert. Der parteilose Dessauer Oberbürgermeister Hans-Georg Otto hatte die Bürgerinnen und Bürger zuvor aufgerufen, die rechte Demo zu ignorieren und von einer Gegendemonstration abzusehen. Dieser Aufruf sei mit den Fraktionen des Stadtrats abgestimmt, hieß es.

Allerdings regte sich schnell politischer Widerstand. Sachsen-Anhalts DGB-Vorsitzender Udo Gebhardt, zugleich SPD-Stadtrat, kritisierte die Haltung des Oberbürgermeisters: „Wir können unsere Stadt nicht als Exerzierplatz für Neunazis missbrauchen lassen und einfach abwarten, bis der Spuk vorbei ist.“ Auch Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke widersprach dem Aufruf. „Ignorieren und wegducken wäre ein verheerendes Signal aus Dessau an die Neonazis“, sagte Lemke, die in der Stadt zu Hause ist.

Daraufhin hatte sich am Samstag ein breites Bündnis von der Evangelischen Landeskirche Anhalts über die Parteien des Stadtrats bis hin zu den Gewerkschaften gebildet, das die Gegendemonstration in Dessau unterstützte. Selbst die Dessauer Christdemokraten beteiligten sich an der Demonstration. „Dessau ist eigentlich keine Hochburg für Rechtsradikale“, sagte Tilo Giesbers vom Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus. Auch wenn die Statistik ein etwas anderes Bild zeichnet. Im Jahr 2004 liegt die Bauhausstadt an der Spitze der rechtsextremistischen Straftaten in Sachsen-Anhalt. Grund dafür könnte ironischer Weise die Aufmerksamkeit der Bürger sein: „Bei uns werden sehr viele Vorfälle angezeigt. In anderen Regionen des Landes gehören Hakenkreuzschmierereien so zum Alltag, dass sich niemand mehr aufregt“, sagt Giesbers.

Den so genannten Trauermarsch der Rechtsextremisten hatte der Hamburger Neonazi Christian Worch angemeldet, der auch als Redner auftrat. Die Demonstration sollte offenbar auch die regionale Neonaziszene unterstützen, die vor allem in so genannten freien Kameradschaften organisiert ist. Anders als in Sachsen und Brandenburg, spielen die rechtsextremen Parteien, NPD und DVU, gelähmt durch interne Machtkämpfe, in Sachsen-Anhalt keine große Rolle.

In Dessau fehlt es nicht an Erfahrungen im Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus. Vor fünf Jahren wurde im Dessauer Stadtpark Alberto Adriano von drei Neonazis erschlagen. Der Fall sorgte für internationales Aufsehen. Und wenn auch die Demonstrationen in Dessau ohne größere Zwischenfälle verliefen – die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus bleibt der Stadt erhalten.

Im Stadtpark, dort wo Alberto Adriano ermordet wurde, erinnert eine Stele an den Tod des Mosambikaners. Eigentlich war hier die Aufstellung eines Denkmals geplant. Doch inzwischen zog der britische Künstler sein Angebot zurück. Seit über zwei Jahren werde im Stadtrat über das Denkmal diskutiert. Er habe den Eindruck, dass die Erinnerung nicht gewollt sei.

ULI WITTSTOCK