Kinder haften für ihre Eltern

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über einen Trick, mit dem ausgelegte Heimkosten zurückgeholt wurden

KARLSRUHE taz ■ Unter welchen Voraussetzungen müssen erwachsene Kinder für Heim- und Pflegekosten ihrer Eltern aufkommen? Darüber verhandelte gestern erstmals das Bundesverfassungsgericht. Zur Prüfung stand ein Modell des Bochumer Sozialamts, das auch den Gesetzgeber interessieren könnte.

Geklagt hatte eine heute 66-jährige Rentnerin, deren gestorbene Mutter vier Jahre lang in einem Pflegeheim gelebt hatte. Weil das Vermögen der Mutter nicht ausreichte, übernahm das Sozialamt mit 63.000 Euro einen Teil der Kosten und wollte sich das Geld anschließend bei der Tochter zurückholen.

Die Tochter glaubt jedoch, dass sie nicht unterhaltspflichtig ist, weil sie nicht leistungsfähig sei. Objektiv war dies wohl richtig, denn die Frau erhielt zuletzt nur eine Rente von 500 Euro. Auch der Verkauf einer ihr gehörenden Mietshaushälfte im Wert von 245.000 Euro war ihr nicht zuzumuten, da die Immobilie ihrer Altersvorsorge diente. Deshalb griff das Bochumer Sozialamt auf Anregung des Landgerichts Duisburg zu einem Trick. Der Rentnerin wurde die Unterhaltsschuld als zinsloser Kredit bis zu ihrem Tod gestundet. Gesichert wurde der Kredit über eine Grundschuld auf die Haushälfte.

Das Sozialamt sah darin eine elegante Lösung: „Die Frau behält das Haus und die Grundschuld wird erst nach ihrem Tod realisiert“, argumentierte Ulrich Güldenberg als Anwalt des Amtes. Bezahlt würden die Heimkosten von den Erben.

Dennoch erhob die Frau Verfassungsbeschwerde. Das Zwangsdarlehen und die entsprechende Eintragung der Grundschuld verletze das Grundrecht auf Eigentum, argumentierte ihr Rechtsvertreter Jörn Hauß. Die Unterhaltspflicht gegenüber Eltern müsse eng ausgelegt werden, da sie „widernatürlich“ sei. „In der Natur gibt es keine Spezies, bei der die Kinder ihre Eltern durchfüttern“, sagte der Advokat. Bisher ist der Bochumer Fall noch einzigartig, wie sich in der gestrigen Verhandlung zeigte.

Dies liegt auch daran, dass der Trick mit dem Zwangsdarlehen in der Fachwelt überwiegend für rechtswidrig gehalten wird und schon das Landgericht Duisburg einen Fehler gemacht hat. Bei Bedarf könnte aber der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung einführen, um die Kommunen von Sozialhilfekosten zu entlasten. Im Jahr 2001 konnten sie bundesweit nur 40 Millionen Euro an Heimkosten von Angehörigen zurückholen. Eine Vertreterin des Sozialministeriums sah gestern keinen Grund für solche Überlegungen – der rechtspolitische Trend gehe in die Richtung, das Vermögen der Kinder stärker zu schützen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, von dem grundsätzliche Aussagen erhofft werden, fällt in einigen Monaten.

CHRISTIAN RATH