„Angeklagte sind auch Geiseln“

Die lautstark bekundete Solidarität mit vier anarchistischen Geiselnahmen macht die Opfer wütend. Die taz sprach mit drei SympathisantInnen, die die Tat als Kurzschlussreaktion entschuldigen

AUS AACHENMICHAEL KLARMANN

„Wut, Hass und Unverständnis.“ So beschrieb das junge Ehepaar im Zeugenstand seine Gefühle vom vergangenen Gerichtstag.

Sie sind Nebenkläger im Prozess gegen vier spanische und belgische Anarchisten. Im Sommer 2004 wurden sie von drei der Angeklagten als Geiseln genommen.

Die Solidaritätshymnen für die Angeklagten von Seiten der Sympathisanten waren nicht nur den Opfern übel aufgestoßen. Auch die „Aachener Zeitung“ nannte den „triumphalen Chorgesang und Applaus“ „menschenverachtender Mist“, der die Geiseln verhöhne.

Zu applaudieren, bedeute für sie nicht, „das wir keinen Respekt vor den Geiseln haben“, sagten drei UnterstützerInnen aus der Solidaritätsgruppe zur taz. „Wir erkennen durchaus die Situation, in der sie bedroht wurden.“

Der Prozess begann vergangene Woche unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Vorgeworfen werden den Angeklagten Bankraub, versuchter Mord, Geiselnahme und andere Straftaten.

Sie waren am 28. Juni 2004 in Aachen nach einer wilden Verfolgungsjagd und Schüssen auf Polizisten festgenommen worden. Drei von ihnen hatten zuvor insgesamt fünf Geiseln genommen.

Die drei UnterstützerInnen aus Deutschland und Belgien sagten, mit der zu Prozessbeginn von rund 40 Aktivisten aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Spanien angestimmten antifaschistischen Solidaritätshymne aus dem spanischen Bürgerkrieg und dem stehenden Applaus für die Angeklagten habe man die Geiseln nicht verletzten wollen.

Es sei darum gegangen „zu transportieren, dass wir den Angeklagten nahe stehen.“

Die Hauptangeklagten – die spanischen Anarchisten Gabriel P. (37) und Jose Fernandez D. (44) sowie der Belgier Bart G. (26) – hätten „neun Monate im Knast gesessen, sie brauchen die Unterstützung, sie sind auch Geiseln.“

Ihren Namen wollen die UnterstützerInnen aus Angst vor polizeilichen Maßnahmen nicht veröffentlicht wissen.

Trotz der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Aachen gegen die Angeklagten sprachen sie von einem „politischen Verfahren“. Jedoch sei „Geiselnahme kein Mittel des anarchistischen Kampfs.“

Man werte die Geiselnahme als „Kurzschlussreaktion“ aus Angst, bei der plötzlichen Polizeikontrolle in Aachen wieder inhaftiert zu werden.

Insbesondere Gabriel P. und D. seien „bekannte Anarchisten“, die vor rund 20 Jahren „aus der Armut in die Kriminalität gegangen“ seien.

Die beiden hätten Überfälle begangen, sagen die UnterstützerInnen, und die Beute sei teils „umverteilt“ worden. Es gebe eben „eine Realität der Armut“, aus der sie einst ausgebrochen seien nach dem Motto: „Stirb vor Hunger, oder nimm vorher das Geld.“

„Politisiert“ worden seien die beiden erst in ihrer Haft. Sie hätten das „unmenschliche spanische Knastsystem mit Folter, Schikanen der Wärter und Kameraüberwachung in den Zellen nicht akzeptierten wollen“ und dagegen mit anderen Häftlingen „Knastrevolten“ sowie Hungerstreiks organisiert. Deswegen seien sie wiederholt zu neuen Haftstrafen und Isolationshaft verurteilt worden.

„Die kleine Geschichte Aachen“, so die UnterstützerInnen, habe „eine Vorgeschichte“. Und wegen ihr solidarisiere man sich mit den Angeklagten.