Papa von ihren Gnaden

VON PHILIPP GESSLER

Sehr unschön, was sich Robert Zollitsch da leistet: Der Freiburger Erzbischof ist nun nicht gerade das Maß aller Dinge im deutschen Katholizismus – und er ist auch kein Kardinal, weshalb er nicht kirchenrechtlich bestraft wird für seine Aussage. Aber schon am Morgen nach dem Tod des Papstes öffentlich als Mann der Hierarchie zu tönen, dass Joseph Ratzinger ein aussichtsreicher Kandidat sei und sicher auch ein „guter Papst wäre“, das ist gegen jede gute Sitte im hiesigen Episkopat.

Geschmacklos also, aber Zollitsch hat Recht, was die Aussichten von Kardinal Ratzinger betrifft: Der Leiter der Glaubenskongregation hat keine schlechten Chancen, dem Papst nachzufolgen – viel wahrscheinlicher aber ist, dass er sich als Königsmacher profiliert. Oder, wie es der Chefredakteur von Titanic, Martin Sonneborn, so schön in der taz sagte: „Ich denke, dass im Himmel genau wie im Vatikan Kardinal Ratzinger das Sagen hat.“ Ratzinger kann es ziemlich egal sein, wer unter ihm Papst wird.

Was qualifiziert den 78-Jährigen „Großinquisitor aus Marktl am Inn“, so der Spott von Kirchenkritikern, für den Job des Papstmachers? Da ist zum einen seine Arbeit als Leiter (Präfekt) der Glaubenskongregation, früher als „Heilige Inquisition“ gefürchtet. Ratzinger, Professor für Dogmatik, ist so etwas wie der Chefideologe des Vatikans. Ihm obliegt es, die weltweiten theologischen Entwicklungen im Auge zu behalten – und die aus seiner Sicht fehlerhaften Auswüchse zu unterbinden. Das hat er die vergangenen 24 Jahren ausgiebig getan: Kritische Theologen wie der Schweizer Hans Küng und der Brasilianer Leonardo Boff mussten dies erleiden. So ist Ratzinger mächtig und gefürchtet, sein mit hoher Stimme vorgetragenes Wort hat im Konklave Gewicht.

Außerdem ist Ratzinger seit drei Jahren Dekan des Kardinalskollegiums, es ist eine mehr als protokollarische Aufgabe: Er unterrichtet nach dem Tod des Papstes förmlich das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps. Vor allem aber ist es nun Ratzinger, der alle Kardinäle zum Konklave nach Rom ruft. Der hoch intelligente und rhetorisch begabte Bayer galt in den vergangenen Jahren zunehmend als der wichtigste Mitarbeiter des verstorbenen Papstes. Bis in seine letzten Stunden hatte er als einer der wenige immer direkten Zugang zu ihm, man sprach Deutsch miteinander. Hinzu kommt, dass er qua Amt weltweit bekannt ist – kein geringer Vorteil für einen Königsmacher, denn die meisten Kardinäle sehen sich so selten, dass sie sich untereinander kaum kennen. Es gibt gerade mal zwei Kardinäle, die überhaupt noch wissen, wie ein Konklave unter Michelangelos Meisterwerk überhaupt abläuft. Der Papst hat die Regeln neu festgeschrieben, aber Erfahrungswerte fehlen. Da kann Ratzinger seine Autorität und Bekanntheit nutzen.

Außerdem ist Ratzinger einer der konservativsten Kardinäle, was in diesem vom Papst geformten Kardinalskollegium sehr wichtig ist: Königsmacher dürfen keine Außenseiter sein. Seine konservative Ausrichtung war ihm nicht in die Wiege gelegt. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65) galt der 30-jährige Professor der Theologie noch als reformfreudig. Erst später, vor allem unter dem Eindruck der Nachkonzilszeit und der 1968er-Revolte, die er in Tübingen geradezu erlitt, wandelte er sich zum reaktionären Knochen.

Schon bei den letzten beiden Konklaven 1978 soll Ratzinger übrigens eine Rolle gespielt haben. Damals aber war er noch lange nicht so etabliert. In wenigen Wochen wird seine Bedeutung viel größer sein. Auffällig ist jedenfalls, wie sehr er sich in letzter Zeit bei allen Spekulationen über einen möglichen Papstrücktritt zurückgehalten hat: Ratzinger, Sohn eines Gendarmeriemeisters, ist klug. Er weiß, dass es in solchen Fällen besser ist, überhaupt nichts zu sagen. Ein zweiter Königsmacher hinter Ratzinger verspricht auch Kardinal Joachim Meisner zu werden, der Erzbischof von Köln. Ebenso konservativ wie Ratzinger könnten sich die beiden im Konklave die Bälle zuwerfen. Meisner wurde zu Weihnachten 1933 nahe Breslau geboren – auch dies verband ihn mit Wojtyła, mit dem er auf freundschaftlichem Fuße stand. Er ist ein alter Kommunistenfresser, wuchs im katholischen DDR-Milieu auf. Er kann bei den wichtig gewordenen Osteuropäern werben.

Meisner kannte den Krakauer Bischof Wojtyła schon lange, bevor der ihn als Papst 1980 zum Bischof von Berlin machte. Sein Aufstieg verlief unter Johannes Paul II. ebenso rasant wie der Ratzingers. Und wie in Berlin gab es auch in Köln Widerstand vom Domkapitel, das Meisner nicht als Erzbischof am Rhein haben wollte – der verstorbene Papst setzte ihn durch. Der Kardinal gilt seitdem unter den deutschen Bischöfen als einer der servilsten Papsttreuen.

Der große Vorteil Meisners als zweiter Papstmacher nach Ratzinger: Der so gar nicht rheinisch-entspannte Erzbischof sitzt auf dem Geld. Köln ist dank der staatlich eingetriebenen Kirchensteuer in Deutschland eines der reichsten Bistümer überhaupt. Und Meisner knüpft seit Jahren seine Kontakte weltweit, nicht zuletzt im Süden des Globus. „Erst gehen die Dritte-Welt-Bischöfe nach Aachen zu Misereor und greifen sich da das Geld ab“, erklärt eine wichtige Figur in der deutschen Hierarchie, „dann lädt sie Meisner ein, sich mit ihm in Köln zu treffen.“ Das schafft Abhängigkeiten, zumal Meisners Diözese über viel Geld für die Nöte der armen Kardinäle in Afrika, Asien und Lateinamerika verfügt. Der eher liberale Vorsitzende der deutschen Bischöfe, Kardinal Karl Lehmann, kümmert sich dagegen viel zu wenig um solche Kontakte, er vertraut lieber auf seine alten Verbindungen aus der Zeit an der päpstlichen Eliteschmiede „Germanikum“ in Rom.

Ratzinger und auch Meisner könnten also zu den Figuren zählen, die die konservativen Truppen auf dem Konklave organisieren und zusammenhalten, denn mit beiden darf man sich nicht schlecht stellen. Dass deutsche und deutschsprachige Kardinäle ein gehöriges Wort beim Konklave mitzureden haben, hat übrigens Tradition: Es soll der im vergangenen Jahr verstorbene Kardinal Franz König aus Wien gewesen sein, der 1978 bei der Wahl Wojtyłas dessen Namen ins Spiel gebracht hatte, als sich zwei Wahlblöcke in der Sixtinischen Kapelle längere Zeit gegenseitig blockierten. Mit dem überraschenden Vorschlag des Polen gewann König damals schnell die deutschen Kardinäle. Der Vorläufer Meisners in Köln, Kardinal Joseph Höffner, spielte damals auch eine gewisse Rolle. Er hatte sich allerdings auch schon früh um Kontakte mit Kollegen in aller Welt bemüht.

Nun könnte sich das Spiel von 1978 wiederholen: zwei Blöcke, dieses Mal für einen Italiener auf der einen Seite und einen Iberoamerikaner auf der anderen, die zum Patt führen. Dann wäre doch noch ein Papst Ratzinger möglich, aber nur dann. Unwahrscheinlich, dass der Papstmacher der Versuchung widerstehen würde.