Unbedingt abwehrbereit

Das Raketenabwehrsystem Meads zeigt, wie sich die Bundeswehr verändert – doch die große Debatte darüber bleibt aus. Die Militärpolitik braucht mehr Öffentlichkeit

Öffentlich gestritten wird nur, wenn einem Bundeswehreinsatz zugestimmt werden soll

Es geht augenscheinlich um eine gänzlich langweilige Angelegenheit. Nicht um große Konzepte deutscher Außenpolitik. Nicht um die Frage nach global gültigen Werten, der angemessenen Rolle Europas, dem Missionseifer der Vereinigten Staaten oder der Verantwortung Deutschlands. Es geht um Raketenreichweiten, Radartechnologie und rüstungsspezifische Inflationsraten – um ein ganz banales Waffensystem mit dem merkwürdigen Akronym Meads.

Ginge es nach den maßgeblichen Protagonisten in Regierung, Parlament und Unternehmen, wäre das leidige Thema längst erledigt. Haushaltstechnische Routine sollte sie sein, die ausstehende Entscheidung über die erste Milliarde Euro für das „Medium Extended Air Defense System“ genannte Luftabwehrsystem: abzuwickeln unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Die Erwartung war nicht unbegründet. Seit dem zwanzig Jahre zurückliegenden Streit über die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles werden militärpolitische Fragen nur in kurzen Kriegs- und Krisenzeiten kritisch beleuchtet. Dass Meads überhaupt aus dem fachpolitischen Untergrund ans politische Tageslicht gezerrt wurde, ist zwei oder drei kritischen Wissenschaftlern, ein paar unerschrockenen Mitarbeitern des Bundesrechnungshofes und einer Hand voll Abgeordneter zu verdanken. Letztere wurden glücklicherweise von einer aus einem langem außenpolitischen Tiefschlaf aufgewachten grünen Basis angespornt.

Doch die gerade erst drei Monate währende Debatte in einer immer noch begrenzten Runde könnte schon bald enden. Am kommenden Montag, so hoffen es die Meads-Befürworter, sollen die grünen Kritiker bei einem Gespräch im Verteidigungsministerium endlich einlenken. Schon zwei Tage später könnte der Haushaltsausschuss dann endgültig den Einstieg in das Milliardenprojekt absegnen.

Das klingt nach dem Ende eines nicht mal mittelschweren Koalitionskrachs. Doch das ist schon deshalb nicht korrekt, weil es auch in der SPD-Fraktion engagierte Kritiker des Milliardenprojekts gibt und selbst aus den Oppositionsfraktionen Bedenken zu hören sind. Zudem geht es bei dem Streit um Meads um sehr viel mehr – um die demokratische Kultur, die besonders bei militärischen Fragen unterentwickelt ist. Der Entscheidungsprozess zu Meads jedenfalls war streckenweise einer parlamentarischen Demokratie unwürdig.

Wenn der Haushaltsausschuss das Projekt nun trotz aller Bedenken des Bundesrechnungshofs tatsächlich absegnen sollte, wird er dies ohne angemessene Informationen über die Gesamtkosten tun. Weder ist festgelegt, wie viele Meads-Systems letztendlich angeschafft, noch zu welchem Stückpreis sie zu haben sein werden. Ginge es hier um ein ziviles Projekt, der Aufschrei wäre groß. Doch bei Rüstungsprojekten gelten eigene Regeln.

So demonstrierte auch der Verteidigungsausschuss während des Entscheidungsprozesses über Meads ein peinliches parlamentarisches Selbstverständnis. Um Bedenken gegen Meads besser entgegenzutreten, beauftragte der Ausschuss eine Gruppe seiner Mitglieder mit der Erstellung eines Gutachtens. Der erstellte Bericht war durchweg positiv, wurde förmlich zur Kenntnis genommen und dem Projekt somit der Segen gegeben. Peinlich nur, dass der Bericht der Abgeordneten nahezu wörtlich mit der von Luftwaffenoffizieren aus dem Verteidigungsministerium erstellten Vorlage übereinstimmte. Die parlamentarische Kontrolle war faktisch reduziert auf die Umpaginierung eines Regierungsdokuments.

Bei Meads geht es immerhin um Gesamtkosten von mindestens 3,5 Milliarden Euro, nach Schätzungen des Bundesrechnungshofs sogar um 6 Milliarden. Doch nie hat sich die Bundesregierung vor das Parlament gestellt und öffentlich über die militärischen Szenarien referiert, für die das Milliardenprojekt angeblich so dringend benötigt wird.

Verwundern kann das nicht: Ernsthaft bestreitet niemand, dass Meads nur für das geeignet und vorgesehen ist, was im Neusprech des Verteidigungsministeriums „Einsätze hoher Intensität“ heißt – ein Krieg wie im Irak ist das Szenario, für das Systeme wie Meads ausgelegt sind. Dennoch verbreiten Meads-Befürworter in Regierung, Parlament und interessierter Industrie andere, allesamt unplausible Szenarien. Einmal soll Meads so genannte Stabilisierungstruppen wie auf dem Balkan und Afghanistan schützen, obwohl die niemals durch weitreichende Raketen, sondern nur durch Kleinwaffen oder Granaten bedroht werden. Ein andermal soll Meads dazu dienen, das deutsche Territorium zu schützen. Das ist schon deshalb absurd, weil Meads nur gegen Raketen mit Reichweiten von unter 1.000 Kilometern ausgelegt ist, es aus diesem Umkreis rund um Deutschland aber keine Bedrohung gibt. Auch künftig ist das nicht zu erwarten.

In koalitionsinternen Runden hat Verteidigungsminister Peter Struck schon eingeräumt, dass Meads nicht für den Schutz des deutschen Territoriums vorgesehen ist. Nur auf eine öffentliche Erklärung dieser Art darf man noch warten. Denn Werbung für Meads mit dem vermeintlichen Schutz der Heimat kommt eben besser an als das Eingeständnis, dass das Milliardenprojekt einzig für die Teilnahme an einem kommenden Feldzug im Mittleren Osten Sinn ergibt. Der Streit um Meads steht deshalb für ein eklatantes Missverhältnis zwischen der realen Planung der militärischen Fähigkeiten Deutschlands einerseits und dem Grad der öffentlichen Partizipation an diesem Prozess andererseits.

Bei dem Streit um Meads geht es um sehr viel mehr – um die demokratische Kultur

Seit in den 80er-Jahren anlässlich der Pershing-Raketen über die Nato-Strategie gestritten wurde, gibt es in Deutschland keine langfristig angelegte öffentliche Diskussion über militärische Fragen mehr. Gestritten wird öffentlich nur, wenn es mal wieder gilt, unter enormem Zeitdruck die Zustimmung zu einem weiteren Bundeswehreinsatz zu geben. Über Ad-hoc-Debatten geht es selten hinaus. Und das nicht nur im Parlament und in den Parteien, auch Wissenschaft und Medien haben es versäumt, das kritische Umfeld für eine informierte und ehrliche Debatte zu liefern.

Umso erstaunlicher ist es da, dass trotz der permanenten Ausweitung des Einsatzspektrums der Bundeswehr weiterhin eine gesunde Skepsis gegenüber dem Interventionswahn besteht. Offenbar sehen dies die Befürworter deutscher Kampfeinsätze ähnlich. Anders ist deren offensichtliche Furcht vor einer breiten Debatte über künftige deutsche Kampfeinsätze nach dem Vorbild des Irakkrieges nicht zu erklären.

Vielleicht trägt die Auseinandersetzung über Meads, unabhängig von ihrem Ausgang, zu einer politischen Debatte bei, die dem wachsenden Militärpotenzial Deutschlands angemessen ist. Denn das konkrete Beispiel eines Rüstungsprojekts zwingt eher zu klaren Positionen als abstrakte außenpolitische Diskurse. Zuweilen ist die Beschäftigung mit obskuren Rüstungsprojekten eben gar nicht langweilig. ERIC CHAUVISTRÉ