Datenstrom im Kino

In einem Pilotprojekt holt die Schauburg den digitalen Kinofilm nach Bremen. Der macht perfekte Bilder – und den alten Filmvorführer arbeitslos

1930 war die Schauburg das erste Bremer Tonfilmkino, 1993 das erste Bremer Digitaltonkino – und nimmt jetzt neben dem Atlantis als einziges Bremer Kino an einem fünf-jährigen Pilotprojekt zur digitalisierten Zukunft der Lichtspielhäuser teil. „Delicatessen - Kino Kultur digital“ heißt die Feldstudie, an der 120 unabhängige Kinos in Europa teilnehmen.

Immer mittwochs um 18 Uhr laufen jetzt nicht mehr 24 Bilder pro Sekunde auf einem drei Kilometer langen Polyesterstreifen durch einen Projektor. Statt dessen fließen 6,6 Megabit Datenströme pro Sekunde von einem Software-Server in einen Hochleistungsbeamer.Wie Dinosaurier der Technikgeschichte wirkt die alte Projektionsmechanik im Vorführraum neben dieser winzigen High-Tech-Einheit, die an eine Mikrowelle mit altem Videorekorderaufsatz erinnert.

Das „Delicatessen“-Programm bestimmt der Berliner Salzgeber-Verleih. Er sendet der Schauburg monatlich vier bis fünf Dokumentar-, Spiel- und Experimentalfilme auf einer 260 Gigabyte-Festplatte. „Die wiegt zwei Kilo, das kostet als Päckchen 4,40 Euro“, freut sich Theaterleiter Robert Erdmann. Herkömmliche Rollen eines einzigen 90-minütigen Films wiegen 20 Kilo. „Schon ab September sollen die Daten durchs Internet oder via Satellit in die Schauburg gelangen, so könnten wir auch Sport- und Popereignisse oder Filmpremieren live auf die Leinwand bringen“, hofft Erdmann. Wenn die Entwicklung dermaßen fortschreite, werde in fünf Jahren die Qualität von 35mm- und 70mm-Filmen erreicht, die dann vollends überflüssig würden. Auch die Multiplexe würden dann ausschließlich digital projizieren – und ihre Ware direkt aus Hollywood erhalten.

Bemerkenswert, dass ein auf Programmkinos ausgerichtetes Projekt eher in der digitalen Zukunft angekommen ist als die Großen mit ihrem Mainstream-Menü. Die sieben großen Hollywoodstudios haben sich vor drei Jahren zwar zur „Digital Cinema Initiative“ (DCI) zusammengeschlossen – streiten seither aber darüber, wer die Investitionskosten übernimmt. Für die Schauburg ist die Rechnung dagegen einfach: Die 40.000 Euro teure Ausstattung wurde zu je einem Viertel von Salzgeber und dem EU-Media-Förderprogramm, zur Hälfte von Nordmedia finanziert. Nur jährlich 1.300 Euro Leihgebühr und 50 Euro pro Vorführung muss das Kino selbst aufbringen.

Bislang kostet es eine Stunde Arbeit, die Filmrollen einzulegen, zu justieren und das Bild scharf zu stellen. Im digitalen Kino müssen nur zwei Knöpfe gedrückt und einmal der Touch-Screen berührt werden. „Dann kann ich zum Chinesen essen gehen“, sagt Vorführer Horst Fehrmann. Er arbeitet an der Vernichtung seines eigenen Jobs. „Ich schaue bei jedem digitalen Film auf die Auflösung. Wenn die bei 6,5 Megapixel angekommen ist, muss ich mich beim Arbeitsamt melden“.

Die Vorteile der digitalen Projektion sind in der Schauburg zu besichtigen: Die Farben wirken kräftiger, die Bilder plastischer. Eine unterkühlte Fehlerlosigkeit, an die sich die Augen erst gewöhnen müssen. Ein paar Nachteile gibt es allerdings noch: mangelnde Helligkeitsabstufung und Farbreinheit, ein ins Gräuliche ausgewaschenes Schwarz sowie Verzerrungen bei schnellen Bewegungen. Allein in Deutschland starten Filme wie „Spiderman“ mit 1.000 Kopien, jede einzelne kostet zwischen 2.000 und 4.000 Euro. Wer sich zum Filmstart nur vier oder fünf Kopien leisten kann, hat im traditionellen Verleihsystem keine Chance. „Delicatessen“ ermöglicht nun kleineren Produktionsfirmen anspruchsvolle Kinoware so kostengünstig wie europaweit zu präsentieren. Doch noch ist das Interesse zumindest in Bremen gering. Mehr als zehn Besucher pro Vorführung zähle man selten, bedauert Robert Erdmann.

Jens Fischer

„Das Goebbels Experiment“ von Lutz Hachmeister ist in der digitalen Fassung am So, 17.4. um 13.45 Uhr im Atlantis und um 11 Uhr in der Schauburg zu sehen. Programminfos unter www.delicatessen.org