Tod in Bagdad: Falsche Zeit, falscher Ort

Im Irak ist die US-amerikanischen Aktivistin für die zivilen Opfer des Krieges, Marla Ruzicka, bei einem Selbstmordanschlag ums Leben gekommen. Der Anschlag galt nicht ihr – sie starb genauso zwischen den Fronten wie viele unbeteiligte IrakerInnen

VON BERND PICKERT

Als linke Antikriegsaktivistin hatte sie angefangen. Für die Menschenrechtsorganisation Global Exchange fuhr Marla Ruzicka, damals 25, geboren in Lakeport, Kalifornien, nach dem Sturz des Taliban-Regimes Anfang 2002 nach Afghanistan. Ihr Interesse galt den zivilen Opfern des Krieges. Ihr Grundsatz: Jedes Opfer hat es verdient, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, die „Kollateralschäden“ der US-Kriege sollten an die Öffentlichkeit. Mit Dutzenden lokalen Helfern ging Ruzicka von Haus zu Haus, erkundigte sich nach Opfern, besuchte die Krankenhäuser, die Friedhöfe, notierte. Und sie veränderte ihre Strategie: Bald galt ihr Engagement nicht mehr der Anklage des Krieges, sondern dem Versuch, die US-Regierung dazu zu bringen, den Opfern, die bei den Kriegen zwischen die Fronten geraten, zu helfen.

Marla Ruzicka gründete ihre eigene Organisation, die „Campaign for Innocent Victims in Conflict“ (Civic), als Ein-Frau-Organisation, die zunächst von nichts lebte als von Ruzickas Aktivismus – in Afghanistan, Irak und in Washington. Mit ihrer jugendlich-charmanten Art, die von vielen, die sie kannten, als mädchenhaft naiv, aber sehr entschlossen beschrieben wird, trieb sie Geld auf. Und sie brachte den demokratischen Senator Patrick Leahy aus Vermont dazu, im US-Senat ein Gesetz zur Entschädigung ziviler Opfer des Irakkrieges einzubringen. Mehr als 25 Millionen Dollar Entschädigung ist inzwischen für die Betreuung irakischer Kriegsopfer bewilligt worden.

Marla Ruzicka ging Risiken ein. In den Irak kam sie zum ersten Mal, nachdem in Bagdad die Statue Saddam Husseins heruntergerissen war, und begann auch dort mit bis zu 150 HelferInnen herauszufinden, wie viele unschuldige Menschen durch den Krieg der USA gegen den Irak ums Leben gekommen waren, wie viele verletzt worden waren, und wie man ihnen helfen konnte. „Streubombengirl“ werde sie bei den britischen Soldaten genannt, berichtete sie selbst 2003, weil sie die Militärs andauernd auf nicht explodierte Streumunition hinwies – und zu ihrem eigenen Erstaunen auf bereitwillige Hilfe traf.

Ein ziviles Opfer des Krieges im Irak ist sie nun selbst geworden. Am vergangenen Samstag hatte Ruzicka abends ausländische Korrespondenten und Mitarbeiter anderer Organisationen zu einer Party in Bagdad eingeladen – etwas, das sie oft und gern unternahm, um inmitten all der Tristesse einerseits Spaß zu haben und gleichzeitig Menschen für ihre Sache zu begeistern und persönlich zu überzeugen, die etwas für sie und ihre Arbeit tun könnten. Doch zu der Party erschien sie nicht, und schon am Nachmittag hatte sie sich nicht bei dem vereinbarten Treffpunkt mit einem Freund eingefunden. Gegen Abend erreichte die Wartenden dann ein Anruf der US-Armee. Marla Ruzicka und ihr Fahrer und Mitarbeiter Faiz Ali Salim waren auf der berüchtigten Straße zum Bagdader Flughafen einem Selbstmordattentat zum Opfer gefallen. Falsche Zeit, falscher Ort. Der Anschlag hatte nicht ihnen gegolten, sondern einem gepanzerten Konvoi – doch ihr Auto fuhr gerade in dem Moment vorbei, als die Bombe explodierte. Als sie im Krankenhaus eintraf, war sie bereits tot.

Viele der US-Reporter, die sie kannte, haben am Wochenende Nachrufe geschrieben. Marla Ruzicka selbst, bemerkt die Reporterin Jill Carroll vom Christian Science Monitor, würde hingegen darlegen, dass genau so etwas Irakern jeden Tag passiert, ohne dass irgendjemand davon Notiz nimmt. Und sie würde versuchen, Hilfe für die Angehörigen ihres irakischen Mitarbeiters zu organisieren.