„Meads steht für eine neue Außenpolitik“,sagt Bernd W. Kubbig

Die Beratungen über neue Waffensysteme müssen amerikanisiert werden – sie brauchen mehr Öffentlichkeit

taz: Herr Kubbig, heute wird das Raketenabwehrprojekt Meads trotz aller Kritik durch den Haushaltsausschuss gehen. Ist die Akte Meads damit erledigt?

Bernd W. Kubbig: Ganz und gar nicht. Meads ist Teil und Auftakt eines grundlegenden Transformationsprozesses im Sicherheitsdenken von Deutschland und der Nato, die mehr und mehr auf Abwehrwaffen ausgerichtet werden soll.

Sind Abwehrwaffen nicht besser als Angriffswaffen?

Das Problem ist, dass andere Staaten in Krisenregionen wie dem Mittleren Osten dies anders sehen. Abwehrwaffen können – wenn Sie an die amerikanische Präventionsdoktrin denken – Teil einer offensiven Strategie sein. Technologisch sind Abwehr- und Angriffswaffen zudem gefährlich nahe beieinander.

Könnten Abwehrwaffen nicht auch den Anreiz für Präventivschläge, wie sie die USA propagieren, reduzieren?

Das ist die Hoffnung der Abwehrbefürworter. In der Praxis hat sie sich bisher allerdings nicht erfüllt; dies hat etwa der letzte Irakkrieg gezeigt. Aber auch im Hinblick auf den Iran diskutieren die USA eventuelle militärische Schläge, um die nukleare Infrastruktur zu zerschlagen. Von Abwehrwaffen als Alternative ist indes nicht die Rede.

Ist die Debatte über Meads nicht überhöht? Es geht schließlich um ein eng definiertes Projekt.

Ich sehe Meads als Beginn einer neuen Schiene von Rüstungsdynamik, die das Element der Abwehr stärker zu einem Element der Sicherheitsdoktrinen machen möchte. Belegt wird dies dadurch, dass wir in der Nato eine Reihe von grundlegenden Entscheidungen ins Haus stehen haben. Demnächst wird die erste so genannte Machbarkeitsstudie der Allianz zur Raketenabwehr vorgelegt. Darin wird untersucht, ob, zu welchen Kosten und in welchem Ausmaß das gesamte Nato-Territorium gegen Raketen verteidigt werden kann. Ferner besteht nach wie vor die Einladung der Bush- Administration an die Bundesregierung, am globalen Abwehrschirm der USA aktiv teilzunehmen.

Sind die Argumente gegen das globale US-Abwehrsystem nicht hinfällig, seit es darüber keinen Streit mehr zwischen den USA und Russland gibt?

Sie sind deshalb nicht hinfällig, weil mit den Abwehraktivitäten mögliche militärische Gegenmaßnahmen bei mehreren Staaten programmiert sind. So betrachtet Peking die Raketenabwehrpläne der USA als Versuch, das chinesische Atompotenzial in Schach zu halten.

Sehen Sie auch unmittelbare Folgen für die deutsche Politik?

Einerseits geht es darum, Deutschland mit Meads weltweit als Interventionspartner hoffähig zu machen. Andererseits dient dieses System mit dazu, der neuen, auf Abwehr setzenden Strategie der USA und der Nato ein Rückgrat zu geben. All das sind große und grundlegende Prozesse, in die Deutschland mit Meads eingebunden ist. Diejenigen, die daran Zweifel haben, seien darauf verwiesen, dass die US-Regierung gesetzlich verpflichtet ist, das spezielle System Meads als Teil ihres globalen Abwehrschirms zu behandeln.

Wie konnte ein Projekt dieser finanziellen Größenordnung relativ einfach durchgedrückt werden?

Der Meads-Beschluss ist ein klassisches Beispiel für einen Mini- MIK, einen Militärisch-Industriellen-Komplex. Ein erklärender Faktor ist die Luftwaffe, die ihre Struktur erhalten und Anschlussprojekte für veraltete Systeme haben möchte. Dann gibt es handfeste Interessen der Industrie. Und schließlich favorisiert ein harter Kern von Parlamentariern parteiübergreifend dieses Projekt. Demgegenüber ist bei vielen Abgeordneten das Interesse, militärische Entscheidungen kritisch zu begleiten und das Militär zu kontrollieren, kaum vorhanden.

Trotz aller Gegenargumente wird sich Deutschland nun an Meads beteiligen. Ist das eine herbe Niederlage für Kritiker wie Sie?

Für mich als Wissenschaftler ist bedeutsam, dass die Einwände nach wie vor Substanz haben; sie gelten ja auch für die Grünen weiterhin. Zudem sollten wir den Beschluss nicht isoliert sehen, denn die öffentliche Kontroverse hat andere wichtige Ergebnisse gebracht: Die Entscheidungsträger müssen ihre Position begründen, das Verteidigungsministerium sah sich erstmals gezwungen, überhaupt Angaben zu den Meads-Kosten öffentlich zu machen (auch wenn sie nach meiner Auffassung nicht tragfähig sind), und der Bundesrechnungshof konnte eine herausragende Rolle spielen. Vor allem aber ist die Öffentlichkeit für anstehende Aufrüstungsmaßnahmen im Bereich der Abwehr sensibilisiert.

Eine Demokratie besteht aber nicht nur aus Abgeordneten …

Selbstkritik ist angebracht. Die Meads-Kritiker haben ihre Analysen zu spät in den parlamentarischen Entscheidungsprozess eingebracht. Die Hauptlehre für die kommenden rüstungspolitischen Entscheidungen drängt sich daher auf: mit der kritischen Expertise rechtzeitig präsent zu sein. Wünschenswert wäre ferner, die Beratungen zu „amerikanisieren“, also etwa die Gutachten des Bundesrechnungshofes zu veröffentlichen und so maßgebliche Fragen wie Meads im gesamten Plenum des Bundestages zu debattieren.

Ganz vergeblich war der Streit über Meads als nicht?

Keinesfalls. Meads steht für eine noch nicht ausreichend erörterte und legitimierte Sicherheitspolitik. Das wichtigste Ergebnis aus der Diskussion über dieses System ist, dass die Idee der Abwehr als eine neue Form militarisierter Außenpolitik heftig angekratzt ist. Das ist eine sehr gute Ausgangsposition, um die Entscheidungen, die nun hierzulande und in der Nato anstehen, kompetent, kritisch und vielleicht auch erfolgreicher zu begleiten.

INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ