Abschied vom Heldentum

Schriften zu Zeitschriften: „Sinn und Form“ und „Wespennest“ zu den Erinnerungen an Krieg und Terrorismus

Angesichts der Dauerpräsenz des Zweiten Weltkrieges in Bild und Ton kann es einem fast schon so vorkommen, als wäre man selbst dabei gewesen. Und dann ist man doch erstaunt, wenn man angesichts der Faszination der Bilder auch eine gewisse innere Leere verspürt.

In der Ausgabe 2/2005 der Zeitschrift Sinn und Form erklärt der 1967 geborene Münchner Politologe Christian Schwaabe, warum das so sein könnte. Eine Gesellschaft verstehe nur jene Erinnerungen, die sie in einem gegenwärtigen Bezugsrahmen rekonstruieren könne. Schwabe zufolge habe die Bundesrepublik „in ihrer ganzen Entwicklung einen historisch erstaunlichen Abschied vom Heldentum und Tragizismus, von Pathos und Feier des ‚Opfers‘ vollzogen.“ Nichts sei geblieben vom tragischen Existentialismus der Vorväter, der das Deutsche zu einem weltweiten Synonym für extremen Nationalismus, Heroismus und Militarismus habe werden lassen. Im Gegenteil – „alles, was man als bundesdeutsch definieren kann, hat einen Grundzug von Zivilität“. Das pathetische Bedürfnis nach dem Auszug aus der entzauberten Welt oder mythischer Überwindung der Moderne sei erloschen.

Dieser erstaunliche Fall von einem Extrem ins andere irritiert nicht bloß die europäischen Nachbarn. Ein Dichter wie Botho Strauß zauselt von der „Verhöhnung des Eros“ und dem grassierenden Unverständnis für „Blutopfer“ und „Sittengesetz“; Karl Heinz Bohrer beklagt das „Nachkriegs-Gartenzwerg-Bewusstsein“.

Schwaabe möchte allerdings auch auf die blinden Flecken der „postheroischen Läuterung“ hinweisen. Denn die von den Medien beförderte Fokussierung auf die fraglos apokalyptischen Schrecken von Stalingrad, Auschwitz (und neuerdings auch Dresden) erleichtere zwar das weit verbreitete distanzierte Gefühl, die Lektion aus der Geschichte endlich gelernt zu haben, verstelle aber zugleich den Blick auf die eigentliche Ursache: Die enorme Zustimmung zum NS-Regime in den Dreißigerjahren. Was in der bildhaften Aufbereitung nämlich zwangsweise zu kurz kommen muss, ist „die Auseinandersetzung mit dem spätestens in Weimar beinahe zum Grundkonsens gewordenen deutschen Antiliberalismus“. Der Erfolg des Dritten Reiches stehe in der sozialpsychologischen Kontinuität „eines verbreiteten mentalen Unbehagens an der Moderne und einer entsprechend illiberalen politischen Kultur“.

Das damit in Kauf genommene „Nebeneinander von Alltagsmoralität und staatlich offen sanktionierter Amoralität“ lasse sich nicht nur unbefangen in den vom Fernsehen ausgestrahlten Zeitzeugenberichten wiederfinden, es sei Ausdruck eben jener Schizophrenie, die schon Ernst Bloch als das „Rätsel der Kleinbürgerseele“ oder „die Kraft, unvermittelt Widersprüche nebeneinander zu ertragen“ beschrieben habe: „der klassegewordene Widerspruch zwischen ,Aufbruch‘ und Herrendienst“. Durch die Hintertür seien wir heute leidlich liberal geworden, beruhigt Schwaabe – aber muss man sich nicht nur mal über Wirtschaftsfragen unterhalten, um wenigstens in Metaphern das tragisch-schizophrene Heldenpathos von Sieg oder Untergang wiederzufinden?

Wer hat sich aber andererseits nicht auch schon gefragt, was man außer seiner banalen Vorgartenzwergmentalität den medialen Drohbotschaften von al-Qaida spirituell noch entgegenzusetzen habe? Ein Blick in die 138. Ausgabe der Wiener Zeitschrift Wespennest kann einen dieser Sorge vielleicht entheben. Hier schreibt der Damaszener Philosoph Sadik J. Al-Azm, dass „trotz der gegenwärtig gängigen Mutmaßungen über gravierende globale Konfrontationen zwischen der islamischen und westlichen Welt … dieser Krieg bereits vorüber ist“. Die Gefolgschaft für den militanten Flügel der Islamisten in der arabisch-muslimischen Welt werde abnehmen. Al-Azm zieht seine Erkenntnis aus einem Vergleich mit dem europäischen Linksterrorismus der Siebzigerjahre. Die Gewalttaten seien nichts als der Ausdruck eines verzweifelten Versuches, „den historisch toten Punkt, den die Reislamisierungsbewegung weltweit erreicht hat, zu überwinden und ihre mit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einsetzende, unausweichlich dem Ende zusteuernde strukturelle Krise abzuwenden“. Seine Protagonisten seien von Moderneangst, Erlösungsfantasien und wohlsituiertem Mittelklasse-Ennui getrieben und das Produkt einer hinsichtlich ihrer moralischen Standards und ihres Selbstwertgefühls schizophrenen saudi-arabischen Gesellschaft. Können wir das nachfühlen? JAN-HENDRIK WULF

„Sinn und Form“ 2/2005, 9 Euro„Wespennest“ 138, 12 Euro