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: „Das Netz“ von Lutz Dammbeck: Una-Bomber, LSD und Internet oder warum wird ein Mathematiker zum Terroristen?

Geben Sie die Worte Unabomber, LSD und Internet zusammen in eine Suchmaschine in eben jenem Internet ein und Sie finden die abenteuerlichsten Verbindungen. Genau dies scheint der Leipziger Regisseur Lutz Dammbeck gemacht zu haben, aber weil er daraus einen Film gebastelt hat, der zwangsläufig linear erzählt, musste er zumindest die Illusion einer stringenten, von A über B nach C führenden Recherche schaffen. So sieht man ihn selber am Anfang des Films während des Flugs nach Los Angeles mit konzentrierter Miene beim Studium seiner Materialien. Auf einem Stück Papier zeichnet er sein erstes Diagramm mit Namen und Schlagworten, zwischen denen er mit energischen Strichen seines Filzstiftes Verbindungslinien zieht. Diese „Mindmaps“ malt er immer dann in seinem Film, wenn die Verbindungen besonders fadenscheinig und weit hergeholt sind. Sie sollen logische Zusammenhänge suggerieren, wo oft nur assoziativ gedacht wurde. Aber überraschenderweise stört all dies kaum: Lutz Dammbeck hat so spannende Gespräche mit Künstlern, Wissenschaftlern und Philosophen geführt, dass man ihm gerne verzeiht, wenn er dabei dann doch eher diffus argumentiert.

Zwischen 1978 und 1995 verübte der so genannte Una-Bomber in den USA zahlreiche Bombenanschläge auf Wissenschaftler, die mit der Entwicklung von Computern und elektronischen Medien beschäftigt waren. Als er schließlich gefasst wurde, entpuppte er sich als der brillante Mathematiker Ted Kaczynski, der jahrzehntelang als Eremit in den Wäldern von Montana lebte, und die Entwicklung der Technologie für die Wurzel allen Übels hielt. Dammbecks Kulturgeschichte des Internets beginnt im New York der 60er Jahre. Dafür sprach er mit dem damaligen Organisatoren des Advanced Film Festival John Brockman, der in späteren Jahren sehr erfolgreich die Bücher einer Cyber-Elite von Computerwissenschaftlern und Genforschern vermarktete. Einer seiner Klienten war der Informatiker David Gelernter, der durch eine von Kaczynski verschickte Bombe ein Auge und eine Hand verlor, und auch mit diesem führte Dammbeck ein Interview. Beide Männer reagieren sehr emotional auf die Fragen nach Kaczynski, und diese Sequenzen gehören zu den eindrucksvollsten des Films. Einer der Pioniere der Computernetzwerke war Stewart Bond, der in den 60ern in einer Hippiekommune in Kalifornien sowohl mit Kybernetik wie auch mit LSD experimentierte. Es gibt Hinweise, dass Kaczynski als Versuchsperson in Studien der Regierung zur Persönlichkeitsveränderung ebenfalls LSD geschluckt hat, und außerdem war Bond in den 70er Jahren Herausgeber des „Whole Earth Catalogue“, und nach einer Anleitung darin baute Kaczynski dann seine Waldhütte. Entlang solcher oft nicht viel mehr als kurioser Verbindungen montiert Dammbeck seinen Film. Manchmal droht er dabei in die Nähe von abstrusen Verschwörungstheorien zu geraten oder zum akademisch eitlen Namedropping zu verkommen, wenn etwa Gödel, Adorno und Wittgenstein ziemlich bemüht heranzitiert werden. Aber dann doziert der über 90jährige Physiker und Philosoph Heinz von Foerster so scharfsinnig über die Metaphysik der weltweiten Maschinensysteme, während ihm seine mexikanische Putzfrau dabei über die Schulter schaut, dass man von dieser grandiosen Momentaufnahme schlicht hingerissen wird. Wilfried Hippen

„Das Netz“ läuft am Do & Fr um 20.30, am Fr und Sa um 22.30 und am So um 18.00 im Kino 46/Freitagabend ist der Regisseur zu Gast