Es muss mich anmachen

Was treibt Kunstsammler, zumal solche für zeitgenössische Kunst? Thomas Deecke hat als Direktor des Neuen Museum Weserburg in Bremen eng mit renommierten Sammlern zusammengearbeitet. Demnächst geht er in Ruhestand und verabschiedet sich mit der Ausstellung „Sammel-Leidenschaften“

Thomas Deecke, 65, ist Gründungsdirektor des Neuen Museum Weserburg in Bremen – gelegen auf einem Stadtwerder im Fluss – das seit 1991 als Sammler-Museum zeitgenössische Werke aus international renommierten Sammlungen in wechselnden Ausstellungen zeigt. Im Mai geht Deecke in Ruhestand und verabschiedet sich mit der Ausstellung „Sammel-Leidenschaften“, die am kommenden Sonntag eröffnet wird.

Herr Deecke, mit Ihrer Abschiedsausstellung im Neuen Museum Weserburg ziehen Sie ein Resumée in Sachen Qualität. Woran erkennen Sie Qualität in der Kunst?

Thomas Deecke: Es ist verteufelt schwer, den Qualitätsbegriff zu definieren. Warum würden Sie sich nicht von einem 25-jährigen Jungarzt den Blinddarm rausnehmen lassen, sondern lieber von einem 45-jährigen? Das ist die Erfahrung. Wenn Sie mit den Dingen ernsthaft umgehen, gibt es den Aufbau von Erfahrung und die leitet einen relativ sicher – Irrtum eingeschlossen – zur Qualität.

Wenn Sie Kunst beurteilen, aus welchen Schritten besteht die Urteilsfindung?

Erstens: Es muss mich anmachen. Wenn es mich in irgendeiner Weise trifft, dann versuche ich so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen über andere Werke und über die Person des Künstlers. Dann suche ich Sekundärliteratur, weil ich wissen will, was andere über den Künstler gedacht haben. Wichtig ist außerdem, darüber zu schlafen. Und dann: Prüfen. Über eine längere Zeit. Das habe ich auch von Werner Schmalenbach, ehemals bei der Kunstsammlung NRW, gelernt: Der hat sich immer die Bilder, die er kaufen wollte, erstmal für ein halbes Jahr ins Büro gehängt, und dann entschieden, ob die Bilder das aushalten.

Aber es ist auch eine Generationsfrage: Es gibt natürlich Bilder, die mich überhaupt nicht anmachen, aber Jüngere. Deswegen ist ja auch wichtig, dass im Museum mal gewechselt wird. Da müssen Jüngere ran.

Worin unterscheidet sich der Kunstsammler vom Sammler von Alltagsgegenständen wie etwa dem Bierdeckel?

Beim Kunstsammler ist der Gegenstand des Sammelns ein lebender Gegenstand, ein aus sich selbst heraus wirkender Gegenstand. Das ist nicht nur einfach ein Ding, sondern steht für eine ganze Lebensphilosophie, für das Konzept der jeweiligen Künstlerin oder der Zeit. Insofern ist das wesentlich mehr als ein Bierdeckel. Ein Bierdeckel ist selten oder nicht selten, damit hat sich’s im Allgemeinen. Bei der Kunst heißt Sammeln immer: man nimmt über das Kunstwerk Teil am Leben des Künstlers, an dessen Entwicklung und dessen Gedanken.

Können das Künstler ertragen, wenn die Sammler an ihrem Leben teilhaben wollen?

Manche ja, manche nein. Mir ist es so ergangen, dass sich durch die Beschäftigung mit der Kunst sehr oft Freundschaft oder Nähe zu den KünstlerInnen ergeben hat. Das begann bei mir und meiner Frau aber immer mit dem Kunstwerk – und nicht mit dem Künstler. Ich glaube, das ist sehr wichtig, wenn man sich mit zeitgenössischer Kunst auseinander setzt: Man möchte natürlich auch die Beweggründe des Künstlers erfahren.

Gleichzeitig geht es aber ja für die Sammler auch darum, ihr Kunstwerk zu präsentieren.

Ja, nichts ist langweiliger, als etwas zu besitzen, was die anderen nicht sehen. Deswegen glaube ich auch nicht an den Typ des Sammlers, der irgendein berühmtes Stück heimlich in seinem Kämmerchen allein bewundert. Man möchte dieses Vergnügen mit anderen teilen.

Das kann dann auch sein, dass man möchte, dass das Kunstwerk durch das Öffentlich-Machen berühmter und mehr wert wird. Da habe ich nichts dagegen. Aber noch viel wichtiger ist das Teilhaben-Lassen. Das ist die Stärke unseres Hauses: Die Sammler haben hier die Chance, das Vergnügen an den Werken mit den anderen zu teilen und dafür bewundert zu werden, weil sie die Werke aus der Anonymität des Ateliers geholt haben.

Wie hoch ist der Prozentsatz derer, die eine Wertsteigerung ihrer Werke erzielen wollen?

Das kann man nicht beziffern. Die allermeisten unserer Sammler verkaufen nicht – die Wertsteigerung ist da reine Theorie. Trotzdem ist sie immer ein Vorurteil unserem Museum gegenüber. Aber wir leben nicht im Sozialismus und Kunst ist nicht ausgenommen vom System der Marktwirtschaft und Wertschätzung drückt sich unter anderem darin aus, dass das Ding mehr wert wird. Das ist nichts Ehrenrühriges.

Welche Typen von Sammler lassen sich ausmachen?

Wir arbeiten hier im Museum zusammen mit SammlerInnen, die die Kunst lieben. Die können nicht ohne, die müssen. Und es gibt einen anderen Typ Sammler, mit dem arbeiten wir nicht zusammen, das ist zum Beispiel der Typ Saachi. Der ist eigentlich von Beruf Werbemann. Der benutzt Kunst, was vollkommen legitim ist, um sich, seinen Namen und letztendlich seine Firma bekannter zu machen.

Welche Rolle spielen Moden für die Sammler?

Der eine kauft mit den Augen, der andere mit den Ohren. Und Sie können nur mit denen zusammenarbeiten, die mit den Augen sammeln. Es gab diese Zeit der jungen Wilden, da haben furchtbar viele Leute mit den Ohren gekauft, und die sitzen jetzt auf ihren gigantischen Sammlungen und wissen nicht wohin damit.

Sie wollen in Ihrer Abschiedsausstellung die “Leuchttürme der Beständigkeit“ präsentieren. Wie lange dauert Beständigkeit?

Ich habe da eine Faustregel: Wenn ein Werk über eine Generation hinweg immer noch Wirkung hat, dann ist der Künstler durchs Gröbste durch. Es gibt dann Absacker, die haben mit dem Künstler gar nichts zu tun, sondern die Mode wechselt: Es gab mal eine Zeit, da interessierte sich kein Aas für Informel aus den 1950er Jahren und vor zehn Jahren entdeckte man die Kunstrichtung plötzlich wieder. Aber: die Künstler waren nie weg, die Museen haben sie immer gepflegt.

Welche Veränderungen im Kunstbetrieb beobachten Sie, auf die das Museum reagieren muss?

Das Riesenproblem, vor dem alle Museen stehen, ist, dass die Leute nicht mehr ins Museum gehen, sondern nur noch zu Ausstellungen. Ich hasse dieses Five-Letter-Wort „Event“. Aber wir haben sie dahin erzogen, wir sind selber schuld. Hat auch damit zu tun, dass man heute verlangt, dass die Museen gut besucht sein müssen. Das hat vor 30 Jahren niemand verlangt. Heute wird alles über Zahlen gerechnet: Wenn man nicht x-Besucher am Tag hat, dann wird man abgewickelt. Das halte ich für falsch. Wir sind ja auch der Raum, in dem Dinge bewahrt werden. Und wir sind auch ein Bildungsinstitut.

Haben Sie eine Idee zur Abhilfe?

Nein, nur eine zynische Idee: Verknappung. Museen nur noch mittwochs aufmachen, nur nach Voranmeldung. Dann würden sie wieder etwas Besonderes.

Interview: Klaus Irler