Hitlers Papst?

„The Panzer Cardinal“: Schon vor seiner Wahl hat der britische Boulevard gegen Joseph Ratzinger agitiert. Diese Deutschen-Klischees sind bekannt – aber nicht so alt, wie allgemein angenommen

Man muss kein Anhänger Ratzingers sein, um dies vulgärzu finden

VON OLAF BLASCHKE

„Engländer beleidigen deutschen Papst!“ Genauso emphatisch, wie sie am Mittwoch über die Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst gejubelt hatte, so empörte sich die Bild-Zeitung schon am folgenden Tag über die Titel der britischen Boulevard-Blätter. „Von der Hitlerjugend zum Papa Ratzi“ lautete die Schlagzeile der Sun am Tag nach der Wahl: Der ehemalige Feindsoldat des Zweiten Weltkrieges als Papst. Sogar die Times eröffnete ihren Bericht mit den Worten: bad news. Wie konnte Gottes Hand die 115 Kardinäle bloß dahin führen, ein ehemaliges, wenn auch unfreiwilliges Mitglied der Hitlerjugend zu wählen, der Homosexualität für ein moralisches Übel hält? Was hat der Papst mit Hitler zu schaffen?

Was jetzt die Bild-Gemüter erhitzt, ist im Königreich schon länger am Kochen. Bereits im Vorfeld der Papst-Wahl agitierte die Sunday Times im „Wenn Sienur wüssten“-Ton: Den meisten Gläubigen sei unbekannt, dass Ratzinger Hitlerjunge und danach Flakhelfer und Soldat gewesen sei. Auch wenn es keine Beweise für Gräueltaten Ratzingers gebe und er im April 1945 desertiert sei, müsse man ihn doch mit Johannes Paul II. vergleichen – zu Ratzingers Nachteil, selbstverständlich. Dieser habe Widerstand geleistet, jener nicht. Indes lag Karol Wojtyła, geboren 1920, altersmäßig zwischen Hans und Sophie Scholl (1918 bzw. 1921). Beide waren ebenfalls in der Hitlerjugend, zugleich alt genug, um später in den Widerstand zu gehen. Kann man vom 14-jährigen Ratzinger, der 1941 in die HJ eintreten musste, ein politisches Reflexionsniveau erwarten, das zu heroischer Resistenz bis zur KZ-Haft führte?

Davon ungetrübt titelte der Mirror am 18. April: Nazi-Vergangenheit eines rechtsradikalen Papstkandidaten. Sein Spitzname: the Panzer Cardinal. Englische Leserbriefe machen Ratzinger zu Nazinger oder lassen sich über Hitlers pope aus. Man muss kein Anhänger Ratzingers sein, um diese Kampagne vulgär zu nennen. Wer durch seine Wahl geschockt war, erschrickt nun über den Hitlerbezug.

Dabei gibt es keine neuen Befunde. Schon in den 1990ern sprach Ratzinger offen über seine HJ-Vergangenheit. Während seiner Zwangsmitgliedschaft sei er nicht einmal persönlich dort aufgetaucht. Die Jerusalem Post verteidigte ihn mithin gegen die Times und den Nazi-Vorwurf: „Nicht einmal die Gedenkstätte Jad Vaschem fand die HJ-Sache der Erwägung wert. Warum sollten wir es dann?“ Auch die New York Times kritisiert diese Skandalisierung einer Jugend.

Man könnte nun angestrengt argumentieren, dass auch Ratzingers Altersgenossen wie Jürgen Habermas und Günter Grass in der HJ waren. Gerade der so genannten Flakhelfer-Generation aber verdankt die BRD den Aufbau stabiler demokratischer Strukturen. Auch Ratzinger blieb über jeden Verdacht erhaben, eher dem Massenmörder als Jesus anzuhängen. Nichts trägt seine HJ-Vergangenheit zur Aufklärung bei. Eine rationale Argumentation ist höchst überflüssig. Vielmehr handelt es sich weniger um ein Ratzinger-Problem als um ein englisches, auch wenn einige dänische und polnische Zeitungen in den Chor einstimmten. Gerne greift besonders die Boulevardpresse auf den Zweiten Weltkrieg zurück. Fußballfreunde kennen das: Deutschland gewinnt 2002 dank Ballack gegen Südkorea? Nein: Deutsche Panzer überrollen die Südkoreaner. „Ergib dich, Fritz“ oder „Blitzkrieg“ fallen als häufig verwendete Fußballkriegsmetaphern. So viel Deutsch versteht man. Selbst der des Faschismus unverdächtige Exminister Oskar Lafontaine galt Fleet Street einmal als Gauleiter.

Wer meint, es handele sich beim deutschfeindlichen Ressentiment um eine seit 1939 oder gar seit dem 19. Jahrhundert anhaltende Tradition, sitzt einem Mythos auf. Schon gar nicht lässt sich die Deutsche-gleich-Faschisten-Obsession einem englischen Nationalcharakter zuschreiben. Das wären kulturelle Stereotype unter umgekehrtem Vorzeichen. Wenige Jahre nach 1945 schon begegneten Briten deutscher Politik und Kultur mit Respekt. Tatsächlich setzte der Umschwung ins Negative erst Ende der 1980er-Jahre ein und verschärfte sich seit der deutschen Einigung. Harte Euro-Skeptiker fürchten die Europäische Union als Viertes Reich.

Der Cambridge-Historiker Richard Evans erklärt die neue Deutschfeindlichkeit mit dem englischen Neonationalismus der Konservativen vor dem Hintergrund des erstarkenden walisischen und schottischen Nationalismus. Zweitens bewirke der schärfere wirtschaftliche Wettbewerb eine Vulgarisierung selbst der Qualitätspresse. Drittens erfordere die political correctness, dass Rassismus und Homosexuellenfeindlichkeit nicht mehr artikuliert werden dürfen, germanophober Antifaschismus aber umso lauter. Schließlich entfiel mit dem Ende des Kalten Krieges das kommunistische Feindbild, das die Konservativen zusammenhielt und prompt durch ein deutsches ersetzt wurde. Diese fatale Entwicklung, so Evans’ Resümee, sei aber nur von begrenzter Dauer. In diesem Kontext muss der Popenpopanz verstanden werden – als Übergangsphänomen, dem heute ein vermeintlicher Übergangspapst zum Opfer fällt.

Der Autor ist Historiker an der Universität Trier