Zähne richten ist künftig grenzenlos

Die Abschlüsse von Arzthelfern oder Maurern werden bislang nicht europaweit anerkannt. Das will die EU-Kommission ändern und deutsche Standards für Handwerksberufe lockern. Nun ist der Ärger ähnlich groß wie bei der Dienstleistungsrichtlinie

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

Die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie wird gerade entschärft, da macht die EU-Kommission schon einen neuen und anderen Vorschlag, der mindestens genauso große Auswirkungen auf die Dienstleister haben wird. Der Name: „Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen“. „Diese Richtlinie ist genauso sensibel. Auch hier geht es um Qualität und Verbraucherschutz“, sagt der CSU-Abgeordnete Joachim Würmeling, der für die konservative EVP-Fraktion im Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments sitzt. Dieser diskutierte gestern über den neuen Vorschlag der Kommission und reichte weitreichende Änderungsanträge ein.

Die Richtlinie soll regeln, welche Ausbildungsabschlüsse, die Bürger in einem bestimmten EU-Mitgliedstaat erworben haben, auch in den anderen Ländern anerkannt werden. Dabei geht es zunächst um die Anerkennung von Studienabschlüssen. Und in die Richtlinie soll eingegliedert werden, was bereits besteht: Jeder, der in einem EU-Land einen Master oder einen Bachelor erworben hat, kann mit dieser Qualifikation auch in jedem anderen Land arbeiten.

Doch längst nicht alle Abschlüsse sind bereits derart harmonisiert. Zum Beispiel Maurer: In Deutschland muss er, um selbstständig arbeiten zu können, einen Meisterbrief vorweisen. In Großbritannien dürfen sich grundsätzlich alle Maurer nennen, die eine zweijährige Berufserfahrung vorweisen. Ein Meisterbrief ist nicht notwendig.

Damit der Verbraucher in Zukunft nicht in die Irre geführt werden kann, darf sich der englische Maurer, der in Deutschland seine Dienste anbieten will, allerdings nicht „Maurer“ nennen. Er muss in den Gelben Seiten die englische Berufsbezeichnung, also „bricklayer“, verwenden. Nur in Klammern darf die deutsche Bezeichnung folgen. Das gilt genauso für Polen oder Portugal.

Schon jetzt wird das bei Anwälten so praktiziert. Ein französischer „Avocat“ muss diese Bezeichnung auch in Frankfurt auf sein Büroschild schreiben und darf sich keineswegs „Rechtsanwalt“ nennen.

Die Standards in Deutschland sind allerdings nicht immer die höchsten. Vor allem bei den medizinischen Hilfsberufen, zahntechnischen Assistenten etwa, sind die deutschen Ausbildungsanforderungen viel geringer als in einigen neuen Mitgliedstaaten. Aus diesem Grund plädierte Deutschland denn auch für eine relativ großzügige Regelung. Sonst könnten Leute mit derartigen Qualifikationen schließlich nicht in den anderen Ländern arbeiten – ohne etwa studieren zu müssen. Freilich wäscht eine Hand die andere. Und so müssen bei den Handwerksberufen die deutschen Standards in Zukunft nicht mehr ganz genau berücksichtigt werden.

Das Parlament fordert, gemeinsame Berufsanforderungen zu erarbeiten und damit die Handwerkskammern zu beauftragen. „So könnte eine europaweit einheitliche Ausbildung etwa für Steuerberater geschaffen werden“, erklärt Parlamentarier Würmeling. „Die gegenseitige Anerkennung könnten wir uns schenken.“ Zudem sollten nach Auffassung des Politikers mindestens vier Niveaus – die Kommission schlägt nur drei vor – der Ausbildungsanforderungen definiert werden.

Morgen treffen sich Vertreter des EU-Parlaments mit Spezialisten aus den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission. Sie wollen versuchen, einen Kompromiss zu finden. Sollte das aber nicht gelingen, wird sich das Parlament im Mai nochmals im Plenum mit der Richtlinie befassen – und dann den Vermittlungsausschuss anrufen. Bis die Richtlinie in Kraft tritt, werden also in jedem Fall noch Monate vergehen.