„Es macht Spaß, McDonald’s zu zertrümmern“

Fehlt uns etwas, wenn wir im Januar keine Erdbeeren mehr essen können? Nein, meint der französische Globalisierungskritiker José Bové. Die Agrarindustrie zerstört bäuerliche Existenzen in Afrika – und nutzt den Multis

taz: Herr Bové, Sie kämpfen gegen Agrarmultis, Gentechnik und Handel mit Lebensmitteln – so viel Antiglobalisierung irritiert selbst viele Linke. Bekämpfen Sie den Fortschritt?

José Bové: Vor wenigen Tagen wurde in einem UN-Bericht festgestellt, dass wir, wenn die Dinge so weitergehen, in zehn, zwanzig Jahren ein großes Problem haben werden, die Menschen zu ernähren – besonders im Süden. Die Technisierung der Landwirtschaft hat keine Zukunft. Erstmals in der Geschichte der Menschheit führt „Fortschritt“ zu einer Verschlechterung.

Beispielsweise?

Die Industrialisierung der Landwirtschaft führt zu einer Explosion des Wasserbedarfs, der Einsatz von Pestiziden zu immer mehr Problemen. Die Umweltverschmutzung nimmt zu. Die Produktpalette verengt sich, nur ein paar Sorten überleben. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft unter den Bedingungen der Globalisierung dramatisiert sich das Hungerproblem. Das ist absurd: Industrielle Landwirtschaft ernährt die Leute nicht. Das Absurdeste: Die Mehrheit der Menschen, die unter Hunger leiden, sind Bauern. Da läuft doch etwas total falsch.

Müssen die entwickelten Länder ihre Märkte den unterentwickelten öffnen?

Die Bauern in der Dritten Welt wollen doch gar nicht auf dem offenen Weltmarkt verkaufen. Sie wollen mit ihren Produkten ihre Familie ernähren, ihre Nachbarschaft. Unter den Bedingungen der WTO sind ihre Länder aber verpflichtet, ihre Märkte für Dumpingprodukte zu öffnen. Das zerstört ihre Lebensgrundlage. Der Preis verfällt.

Aber doch nicht prinzipiell wegen des Handels – sondern weil wir subventionierte Produkte auf den Weltmarkt bringen.

Darum fordern wir ein Ende des subventionierten Exports. Die Landwirtschaft in Europa braucht Unterstützung. Aber es ist unfair, die Landwirtschaft zu subventionieren und Überproduktion zu exportieren.

Europas Bauern leben aber ganz gut davon, oder?

Wir exportieren gerade einmal fünf Prozent der Produktion. Es wäre ganz leicht, darauf zu verzichten. Das würde keinen Bauern ruinieren. Mit Globalisierung hat das doch nichts zu tun, sondern vor allem mit einer falschen Politik, etwa der EU. Die WTO hat damit nichts zu tun – außer dass ihre Regeln die Öffnung der Märkte vorschreiben. Dabei kommen nur zehn Prozent der landwirtschaftlichen Produkte in den interkontinentalen Handeln. Dieser zehn Prozent wegen ändern wir die Regeln für die restlichen neunzig Prozent. Das ist verrückt. Deswegen sagen wir: Halten wir die Landwirtschaft aus dem WTO-Regelwerk raus! Freihandel ist nichts für die Landwirtschaft.

Die Konsumenten in Europa werden höhere Preise nicht gerne zahlen – und weiter Bananen essen und Kaffee trinken.

Wir exportieren Fleisch nach Afrika, dessen Preis die Hälfte der Produktionskosten beträgt. Ist das eine vernünftige Preispolitik? Oder ist das schon eher ein Handelskrieg? Außerdem stimmt es nicht, dass die Preise für die Konsumenten sinken, wenn die Preise für die Produzenten sinken. Die Differenz sacken die großen Handelsfirmen ein.

Die Konsumenten im Westen müssen ihr Verhalten also nicht ändern?

Es sind doch die Agrarmultis, die auf das Konsumverhalten einwirken. Die Menschen hatten doch nie ein Bedürfnis gehabt, im Januar Erdbeeren zu essen. Sie waren nicht daran gewöhnt, immer alles haben zu können. Worin besteht denn genau der Vorteil der Konsumenten, wenn sie nicht mehr die gewohnten Nahrungsmittel aus der Region beziehen, sondern exotisches Zeug aus der Südsee? Zudem: Wenn sie realistische Preise bezahlen müssten, die wirklichen Transportkosten – die angerichteten Umweltschäden inklusive –, würden sie diese Produkte sicher nicht mehr kaufen.

Faire Preise würden uns Bananen und Kaffee abgewöhnen?

Das habe ich nicht gesagt: Es gibt ein paar Produkte aus tropischen Gegenden, die wir hier bei uns nicht anbauen können. Das Problem ist, dass die Menschen, die den Kaffee, den Kakao anbauen, den Preis nicht bestimmen und auch nur einen kleinen Teil dessen erhalten, was die Konsumenten bezahlen. Da geht es nicht um Konsumverzicht, sondern um Fair Trade. Wir brauchen internationale Regulierung, damit die Preisgestaltung nicht in den Händen der Multis liegt.

Also doch ein Mehr an Globalisierung?

Wie wir das nennen, ist mir egal. Wir benötigen eine faire Preisgestaltung auf internationaler Ebene und die Möglichkeit der Länder, sich vor Dumping zu schützen. Die einzige Möglichkeit der südlichen Länder, ihre Märkte zu schützen, sind hohe Importzölle. Die WTO-Regeln verbieten ihnen das aber.

Wollen Sie also internationale Regulierung oder nationalstaatliche Lösungen?

Beides. Auch wenn wir eine faire, reale Preisgestaltung haben, können Bauern in einigen Ländern Probleme bekommen. Der Schutz dieser Bauern ist wichtiger als offene Märkte. In manchen Ländern stellen sie 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung. Wohin sollen sie denn gehen, wenn sie ihre Landwirtschaften verlieren? In die großen Städte? In China haben schon 250 bis 300 Millionen Bauern ihren Lebensunterhalt verloren.

China, mit seinem rasanten Industriewachstum und prosperierenden Städten ist vielleicht kein so gutes Beispiel …

Es gibt nicht 500 Millionen Arbeitsplätze für arbeitslose Bauern. Kein Mensch weiß, wie wir Städte für 100 Millionen Menschen bauen können. Das produziert soziale Probleme, demokratische Probleme, für die wir keine Lösung haben.

Das nennt man sozialen Wandel. Das hatten wir in Europa auch.

Das Niveau ist anders. In Europa zog sich die Industrialisierung über hundertfünfzig Jahre. In der Dritten Welt erleben wir gerade einen schockhaften Wandel innerhalb von wenigen Jahren.

Sie wundern sich wahrscheinlich, dass das Wort McDonald’s bisher nicht fiel. Ich nehme an, das ist sonst die erste Frage. Sie wurden ja als McDonald’s-Zertrümmerer berühmt. Was haben Sie gegen McDonald’s?

Jeder redet darüber, weil es ein symbolischer Akt war. Ein Symbol, das illustriert, wie die Dinge funktionieren. Ein Symbol für den Kampf zwischen lokaler Produktion und industrieller Produktion. Die USA haben Strafzölle über unsere lokalen Produkte verhängt, weil Europa Hormonfleisch nicht auf den Markt lassen wollte. Eines dieser Produkte war der Käse, den wir in unserer Region produzieren. Darum haben wir diesen McDonald’s zerlegt, das war eine große Party.

Viele Leute haben die Symbolik so verstanden: Der Typ will euch zwingen nicht bei McDonald’s, sondern französischen Käse zu essen.

Man hat mich ins Gefängnis gesteckt und vor Gericht gestellt. Die US-Bauerngewerkschaft hat mir eine Solidaritätsadresse geschickt. Sie haben gesagt: Sein Kampf ist nicht nur für die französischen Bauern, sondern für alle Bauern. Das war wichtig. Es geht nicht um Frankreich gegen die USA, sondern gegen das Modell industrieller Landwirtschaft.

INTERVIEW: ROBERT MISIK