Bekenntnis zur Wahrheit

betr.: „Gefährliche Verdrängung“, taz vom 28. 4. 05

Der glänzende Schreiber Zafer Senocak hat in seinem Beitrag über die Verbrechen der Türken an der armenischen Bevölkerung das formuliert, was wahrscheinlich nur ein (leider) kleiner Teil der türkischen Migranten in Deutschland sicher auch empfindet.

Bei aller Kritik an einem bestimmten Teil der deutschen Bevölkerung mit ihrer unerträglichen historischen Amnesie muss man doch insgesamt die Aufarbeitung der Verbrechen der Deutschen vor und während des Zweiten Weltkriegs als ein gutes Beispiel ansehen. Ich habe seit meiner Kindheit beobachten können, dass die schonungslose Darstellung des Holocaust und daraus resultierend die Wahrnehmung von Verantwortung von den (meisten) Deutschen zwar als sehr schmerzhaft und demütigend, aber auch als absolut notwendig angesehen wird. Ich habe gelernt, dass trotz versuchter Torpedierung seitens reaktionärer Kreise eine gesellschaftliche und politische Landschaft entstehen kann, die es erlaubt, sich der schlechten historischen Taten der eigenen Nation zu stellen und gleichzeitig die Gegenwart und Zukunft mit den Opfern der Gräueltaten und deren Nachkommen nicht zu scheuen.

Sicher war der Völkermord an den Juden historisch eine beispiellose Tat. Die Ermordung von Armeniern und anderen Minderheiten in der Türkei zu Beginn des letzten Jahrhunderts wird dadurch nicht bedeutungsloser. Es ist ein furchtbares und beschämendes Gefühl, mit dem Wissen zu leben, dass mancher unserer Großväter in der Lage war, Kinder, Frauen und andere wehrlose Opfer zu töten. Das Gegenteil wurde und wird uns in den Schul- und Geschichtsbüchern der Türkei demonstriert. Verantwortung zeigen heißt aber, sich genau in solchen Momenten zu der offensichtlichen Wahrheit zu bekennen und nicht nur um Verzeihung zu bitten, sondern Mitgefühl mit denjenigen zu haben, die direkt oder indirekt von diesem Völkermord betroffen waren oder sind. MUSTAFA AYDOGDU, Bremen