Zeit für Konzentration

Heute beginnt das Berliner Theatertreffen. Ein Gespräch mit Iris Laufenberg, der Leiterin des Festivals, über die Sehnsucht nach Identität und die internationale Wahrnehmung des deutschen Theaters

INTERVIEW KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Frau Laufenberg, heute beginnt das Theatertreffen in Berlin, das wichtigste Schaufenster für deutschsprachiges Theater. Von den zehn eingeladenen Inszenierungen kommen je zwei aus München, Zürich, Berlin, Hamburg, je eine aus Hannover und eine, allerdings nur als Film, aus Wien. Als eine Besonderheit der deutschen Theaterlandschaft gilt aber die Dichte der vielen, noch existierenden Stadttheater. Das spiegelt sich kaum im Theatertreffen – ist das nicht ein Widerspruch?

Iris Laufenberg: Die Theaterlandschaft ist zum Glück noch immer reich, auch in den kleinen und mittleren Städten. Dort macht man sehr lebendiges Theater für die Region und die Stadt. Aber das Theatertreffen, das als Leistungsshow der Besten nur Inszenierungen nominieren kann, spiegelt dann doch die Theater wider, die auch Stars und starke Ensembles binden können, mit ästhetischen Innovationen, neuen Regieansätzen – Häuser, die es sich auch leisten können, mutige Experimente auf hohem Niveau zu machen.

Das Eingehen auf einen regionalen Kontext ist eine der Stärken des Theaters, die es anderen Kunstformen voraus hat. Das Rahmenprogramm des Theatertreffens bezieht sich auf das Stichwort Heimat, mit Vereinswimpeln als Logos, Liederabenden und Gesprächen. Ist das der Versuch, Ausgleich zu schaffen?

Daran haben wir nicht gedacht. Die Betonung von Heimat und Verein ist teils selbstironisch gemeint, denn schließlich sind es immer die gleichen „Vereine“, die sich hier treffen. Andererseits gibt es eine Sehnsucht nach Identität, weil so vieles in Bewegung und unsicher geworden ist. Die Begriffe Heimat und Verein sind durch die Geschichte tabuisiert und mit diffusen Gefühlen belegt. Das wird in der Inszenierung der „Nibelungen“ zum Beispiel thematisiert, die auch davon handelt, wie das „Fremde“ und das „Deutsche“ aufeinander treffen. Damit beschäftigt sich im Rahmenprogramm auch der Liederabend „Kein schöner Land“ von Franz Wittenbrink, der die Sehnsucht und die Frage nach Heimat musikalisch umkreist.

Christoph Schlingensief, der mit seinem Stück „Kunst und Gemüse“ eingeladen ist, vergleicht in einem Interview des Berliner Stadtmagazins tip das Theatertreffen mit einer Beerdigung, die allerdings so schön ist, dass einen viele um sie beneiden.

Ich habe mit sehr viel Freude das Interview gelesen, weil es originell ist. Sicher hat er aus seiner Sicht Recht, weil für ihn Theatermachen immer damit verbunden war, das Publikum und die Presse zu spalten. Nach so vielen Jahren in der Diskussion kann eine Einladung da auch eine Form von Erstarrung bedeuten – für andere, die vielleicht einfach Geschichten erzählen wollen, kann es der Beginn einer Karriere sein.

Blickt man auf die Seite der institutionellen Absicherung und Finanzierung von Theatern, kann einem Angst und Bange um die Zukunft des Theaters werden, denn die Mittel vieler Häuser werden weiter und weiter gekürzt. Auf der anderen Seite lässt das Interesse, Theater zu machen, eigentlich nicht nach. Das zeigt zum Beispiel der Stückemarkt, dessen Jury Sie angehören, dem wieder über 500 Stücke zum Lesen zugeschickt wurden. Warum will man auf die Bühne?

Die Entscheidung für Theater als Form hat viel mit dem Wunsch zu tun, einerseits näher bei sich selbst zu sein und andererseits sich selbst auch aus größerer Distanz und von allen Seiten angucken zu können. Das ist eine tiefere Auseinandersetzung als etwa im Fernsehen, das schnell langweilig wird. Bei den eingeschickten Stücken merkt man oft die Sehnsucht nach Durchdringung und einer Konzentration, für die sonst die Zeit und der Raum fehlen.

Hat sich in den drei Jahren, die Sie Leiterin des Theatertreffens sind, der Stückemarkt verändert?

Jetzt suchen wir nach wirklichen No-Names, Autoren, die noch an keinem Theater vertreten waren. Das Interesse des Publikums und der Fachwelt daran ist groß. Die Autoren werden aufgeführt, wie Anja Hilling, die wir hier entdeckt haben, oder David Lindemann. Für deutschsprachige Autoren ist es der Start überhaupt, John Birkes „Pas de deux“ aus dem letzten Jahr wurde am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Aber auch für die internationalen Autoren ist es eine Chance, über ihr Land hinauszukommen. Das Stück des Spaniers Carles Battle, das von den illegalen Einwanderern nach Spanien erzählte, ist mit dem Thema Migration auf großes Interesse gestoßen und oft in Europa nachgespielt worden.

Das Theatertreffen gilt noch immer den deutschsprachigen Theatern – nur den Stückemarkt haben Sie für Autoren aus Europa geöffnet.

Wenig bekannt ist, wie stark das Theatertreffen in der internationalen Szene reflektiert wird. Weltweit schreibt die Presse und das deutschsprachige Theater wird dort überhaupt nicht als Krisentheater wahrgenommen, sondern steht noch immer für Innovation.

Neu im Programm ist eine eigene Festivalzeitung. Was war der Grund?

Letztes Jahr wurde auf einmal nicht nur von der Krise des Theaters, sondern auch der Krise des Feuilletons geredet. Die Feuilletons werden schmaler, müssen mit weniger Raum auskommen, mit weniger Reisen, mit weniger festen Mitarbeitern. Wenn Meinungen nur noch über wenige Inszenierungen Teil der öffentlichen Reflexion sind, gefährdet das auch das Theatersystem, auf das wir so stolz sind. Da muss Raum sein für Vergleiche und die Arbeit der so genannten Provinz. Wenn das nicht mehr stattfindet, dann wird die Vielschichtigkeit, die es jetzt noch gibt, nicht mehr wahrgenommen. Deshalb haben wir bei uns ein Forum für junge Nachwuchskritiker eingerichtet. Außerdem wurde das Theatertreffen schon immer von Förderung des Nachwuchses begleitet, eben mit dem Stückemarkt und den Workshops im Forum junger Bühnenangehöriger, für Schauspieler, Dramatiker, Regisseure. Das wird jetzt ein Pilotprojekt: Die jungen Kritiker treffen nicht nur auf ihre etablierten Kollegen, sondern vor allem auch auf junge Schauspieler, Regisseure, Dramatiker, über 17 Tage – das ist eine gute Chance, über sein Alltagsgeschäft in einer Weise nachzudenken, zu der man sonst keine Gelegenheit hat.