„Man muss Gestaltung politisch sehen“

Das Berliner Designfestival „Der Designmai“ findet dieses Jahr zum dritten Mal statt. Mit ihm wird Berlin als Metropole zukunftsfähiger Gestaltung neu in die Diskussion gebracht. Die beiden Designer Oliver Vogt und Hermann Weizenegger haben dieses Projekt maßgeblich vorangetrieben

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr Vogt, Herr Weizenegger, Sie haben dazu beigetragen, dass es in Berlin ein Designfestival – den Designmai – gibt. ist Berlin eine angesagte Metropole für Gestaltung?

Oliver Vogt: Mal andersrum, warum ist der Designmai ein Festival, das international beachtet wird, obwohl es erst zweimal stattgefunden hat? Doch wahrscheinlich deshalb, weil sich in Berlin etwas tut.

Eigentlich will man nicht glauben, dass das Schöne, Gestylte, Perfekte und Berlin richtig zusammenpassen.

Hermann Weizenegger: Schön, hübsch und gestylt, das ist eine Wahrnehmung, die etwa über die Mailänder Möbelmesse transportiert wird. Aber Design ist mehr. Auf dem Festival versuchen wir das zu zeigen.

Heißt das, in Berlin ist Design unfertig, unvollendet, hässlich, unschön?

Vogt: Nein, nein, alles auch nicht. Design ist verborgen, Design ist sinnvoll, Design schafft Systeme, Design denkt über den Aufenthalt in einem Wartezimmer nach, Design versteckt sich an ganz vielen Orten. In Behörden, Bahnhöfen, Krankenhäusern.

Und Ihrer Meinung nach setzt Berliner Design in diesem eher unsichtbaren Kontext neue gestalterische Akzente?

Vogt: Das ist zwar provokativ, aber man kann sagen, der Designmai beleuchtet andere Aspekte als eine Mailänder Möbelwoche. Dort werden Resultate und neue Produkte gezeigt. In Berlin steht der Prozess, dem Gestaltung unterworfen ist, im Vordergrund.

Können Sie das konkreter machen?

Vogt: Wir haben ja das Projekt mit der Blindenanstalt angezettelt. Das ist ein gutes Beispiel, wie man über Design und die Entwicklung von einzelnen Dingen hinaus auch gestaltend in eine Institution eingreift und versucht, bestimmte Wege dort zu verändern.

Soll heißen, durch die Entwicklung neuer Bürstenprodukte und deren Vermarktung auf Messen haben Sie einer recht eingefahrenen bezirklichen Einrichtung, in der Blinde Bürsten herstellen, neues Leben eingehaucht und neue Einnahmequellen erschlossen?

Vogt: Wir haben eine alte Handwerkstradition neu belebt und ein Modell entwickelt, wie Design, kleine Handwerksbetriebe und Hinterhoffabriken eine fruchtbare Zusammenarbeit eingehen können.

Das war neu?

Vogt: Solche Strukturen wie in Kreuzberg, wo es noch diese Handwerksbetriebe gibt, kommen nicht mehr oft vor. Meist ist die Industrie nach außen gedrängt worden oder hat sich vergrößert oder ist Pleite gegangen. In Berlin konnten die kleinen Manufakturen überwintern, das ist eine Chance für Designer und Designerinnen, die sagen, ich möcht mal schnell was bauen.

Sie nehmen die typische Berliner Situation mit ihrem wirtschaftlichen Niedergang als Ausgangsmaterial einer ganz neuen Geschichte?

Weizenegger: Eine Rezession ist manchmal eine Chance. In England war es auch so. Nach Thatcher und heftigem wirtschaftlichem Niedergang ist „Creative Britain“ entstanden. Sogenannte kreative Industrien sind auf den Inseln mittlerweile der Wirtschaftsfaktor, wo die meisten neuen Jobs entstehen.

Mit der Blindenanstalt und dem Designmai initiieren Sie etwas nicht so sehr für Sie selbst, sondern für andere. Warum?

Vogt: Bei der Blindenanstalt war es uns wichtig, so eine Art Entwicklungsstudio zu haben. Wir wussten, dass wir beide das nicht selber machen können, aber wir können andere dabei unterstützen. Damals hatten wir einen Lehrauftrag an der Universität der Künste und haben Studenten und Studentinnen gefragt, ob sie nicht Lust hätten, das Projekt mit uns zu machen.

Vernetzen ist für Sie ein wichtiges Stichwort.

Vogt: Vernetzen ist eine Methode. Jedes Objekt, das ich vor mir sehe, ist durch eine Art Vernetzung entstanden. Das wäre anders gar nicht möglich.

Bei Ihren Aktivitäten ist Vernetzung allerdings nicht nur auf das Produkt bezogen, sondern auch auf die ganze Design-Szene. Oder wie kann man den Designmai anders verstehen?

Vogt: Der ist natürlich Vernetzung auf ganz hohem Level.

Weizenegger: Der Designmai funktioniert nach dem ähnlichen Prinzip wie das Projekt in der Blindenanstalt. Es geht um Sichtbarmachen: Was können die? Was passiert an dem Ort? Vernetzen kann auch im Dunkeln irgendwo stattfinden, aber Sichtbarmachen, das ist wichtig.

Und in Berlin war der Leidensdruck, das Unsichtbare sichtbar zu machen, groß?

Vogt: In meiner Wahrnehmung siechte die Stadt an ihrem brachliegenden Potenzial dahin. Das konnte man nicht länger aushalten. Deshalb musste man sagen: Hier passiert was, bitte guckt, nehmt es wahr und arbeitet damit. Ich kann das Gejammer – die Stadt ist so unten – nicht ertragen. Damit passiert ja nichts, außer dass gejammert wird.

Vernetzung ist eigentlich ein abgenutztes Stichwort. Weltweite Vernetzung, www, Kommunikation, die das Unpersönliche, das Virtuelle zelebriert. Bei Ihnen ist es das Gegenteil: Ihre Vernetzung führt zurück zu einer direkten Kommunikation. Eins zu eins.

Vogt: Das ist doch generell eine Kritik an Kommunikation, dass das Unpersönliche gehypt ist, dass Kommunikation zu einem Abziehbild gemacht wurde. Dass man das Gefühl hat, das haben wir von einer anderen Firma auch schon gehört. Da steckt doch niemand dahinter, keiner, der auch den Kopf hinhält.

Ihr Gestaltungsbegriff geht darüber hinaus?

Vogt: Ich finde, man muss Gestaltung politisch sehen. Etwas Gestaltetes steht immer rum. Im urbanen Raum könnte es deshalb ein permanentes Diskussionsfeld bieten.

Diese grün-blaue Milchpackung hier auf dem Tisch …

Vogt: … die steht doch jetzt rum, da könnte man doch ’ne Botschaft drauf verkaufen.

Soll heißen, diese ist verschwendet, weil sie die Fläche nicht nutzt.

Vogt: Es gibt einen Cornflakeshersteller, der schreibt immer was auf die Packung. Was er grad gelesen hat, nach welchen Kriterien er sein Produkt herstellt oder so was. Man hat das Gefühl, dass hinter seiner Cornflakespackung noch jemand steht, der einem sagt, dass er gut lebt und dass er dazu beitragen will, dass du das auch kannst. Ich meine, hier steht was: Diese Milch stammt ausschließlich von biologisch bewirtschafteten Höfen. Das ist ja schon mal toll. Hermann, du hast gut eingekauft.

Design und Kommunikation – darauf verständigen Sie sich als Duo Vogt und Weizenegger?

Vogt: Sicher. Wir müssen ja auch irgendwie miteinander klarkommen. Mittlerweile gibt es das Büro seit 1993.

Sind Sie richtige Freunde?

Weizenegger: Nicht so Biertrink-, Wochenend-, Ausgeh-, Partyfreunde, sondern Arbeitsfreunde .

Die Fetzen fliegen hin und wieder?

Vogt: Immer wieder. Gestaltung ist nie einfach, ist nie banal. Jede Sache, die man entscheidet an einem Objekt, kann so viel verändern. Wie das nachher wirkt, was das Objekt vermittelt. Jeder Inhalt muss diskutiert werden. Deshalb kriegen wir auch nicht so viel hin. Mit jeder Gestaltung müssen wir den Prozess der Diskussion einleiten.

Was sind Ihre nächsten Pläne?

Weizenegger: Man muss es schaffen, Projekte zu entwickeln, die eine inhaltliche Diskussion auslösen. Nur auf dem Level kann man Gestaltung machen. Jedes gestaltete Objekt ist eine komprimierte Gedankenwelt.

Vogt: Unser Sinterchair ist so ein Modell. Kennen Sie den?

Als Bild ja. Es ist, wenn ich es richtig verstehe, ein maßgeschneiderter Stuhl.

Vogt: Die Vision, die dahinter steckt, ist, dass die Produktion als industrielle High-Tech-Fertigung wieder in die Stadt zurückkommt. Es wird kein Kunststoffstuhl mehr in China produziert, sondern es werden Wege gefunden, die Herstellung wieder zurück in die Stadt zu holen, indem du etwa – wie zur Maßschneiderei – gehen kannst und dir einen Stuhl nach deinen Vorstellungen fertigen lässt. Wie einen Copy-Shop um die Ecke für Stühle muss man sich das vorstellen.

Also kommt bei Ihnen zum Design und der Kommunikation noch die Ökonomie?

Vogt: Tatsächlich kann ich mir nicht vorstellen, dass Globalisierung immer so weitergeht. Irgendwann ist der Level der Abstraktion erreicht. Dann sagt man, Moment, ich möchte jetzt doch meine Jacke wieder vom Schneider um die Ecke haben. Der Punkt wird spannend, wenn die Leute sagen, ich möchte mit den Dingen wieder zu tun haben.

Ist der Punkt schon erreicht?

Vogt: In der Mode in Berlin ja. Da möchten die Leute wieder mit den Dingen zu tun haben. Grade jetzt, wo große Firmen gar nicht mehr sicherstellen können, dass mit ihren globalen Produktionen nicht auch Kinder ausgebeutet werden.

Weizenegger: Die Leute merken immer mehr, was Wertschöpfung durch Arbeit bedeutet. Was heißt Arbeit, was Handwerk? Doch Identifikation. Im Moment, wo uns die Arbeit abhanden kommt, kriegt sie eine Renaissance in bestimmten Berufen. Man merkt bei der Mode, dass die Leute bereit sind, wieder etwas mehr zu bezahlen.

Vogt: Ich finde das gut, denn jahrelang hatte ich den Eindruck, die Berliner sind ignorant, formaler Gestaltung gegenüber. Vor zehn Jahren dachte ich, was ist hier los. Wie laufen die Leute bloß rum. Die ganze Stadt war ’ne Diaspora.