Ein Kronzeuge in der Mangel

Der Prozess gegen den „kritischen Polizisten“ Thomas Wüppesahl, der einen Raubmord vorbereitet haben soll, geht in eine längere Verhandlungspause. Trotz mehrwöchiger Beweisaufnahme wirft er noch mehr Fragen auf, als er beantworten kann

Von Elke Spanner

Jede Frage ist eine zu viel. Die eine kann er nicht beantworten, die nächste will er nicht. So geht es über Stunden, ganze Tage, seit Wochen. Mit seiner Entscheidung, den früheren Freund Thomas Wüppesahl durch eine Strafanzeige vor Gericht zu bringen, hat sich Andreas Sch. selbst eine Bürde auferlegt. Die Rollen im Prozess gegen den „kritischen Polizisten“ vor dem Hamburger Oberlandesgericht haben sich immer mehr vertauscht: Während Wüppesahl, dem eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren droht, selbstgefällig in die Runde feixt, ist aus dem Kronzeugen ein Angeklagter geworden – beschuldigt von Wüppesahls Rechtsanwälten, diesen als Lockspitzel erst zum Verbrechen getrieben zu haben.

Dabei wird Wüppesahl kaum noch leugnen können, selbst den Anstoß zu der Tat gegeben zu haben, welche die Anklage ihm vorwirft: Der 49-Jährige, heißt es in der Anklageschrift, hat einen Raubmord vorbereitet. In Berlin-Friedrichshain wollte er einen Geldtransporter überfallen, den Boten erschießen und ihm mit einem Beil den Arm abhacken (taz berichtete). Außer der Aussage des vermeintlichen Mittäters Andreas Sch. hat die Staatsanwaltschaft Mitschnitte von Gesprächen der beiden, in denen Wüppesahl seine Idee ausführt. „Ich muss ganz nah ran, um in den Hinterkopf schießen zu können“, heißt es dort. „Da ist meine Lockerheit gefragt.“

Als Opfer inszeniert

Dennoch präsentiert Wüppesahl sich siegesgewiss. Der selbst ernannte Mobbing-Experte inszeniert sich als Opfer eines Komplotts – wie so oft in der Vergangenheit. Wüppesahl hat über Jahre sein berufliches und privates Umfeld mit Anzeigen und Beschuldigungen überzogen, weil er ständig Intrigen gegen sich vermutete. Nun wittert er einen „weiteren Versuch der Staatsanwaltschaft, mich als politische Person aus- und abzuschalten“, wie er aus der Untersuchungshaft heraus verlauten ließ.

Dass seine Rechtsanwälte Uwe Maeffert und Peter Wulf den früheren Freund mit akribischen Nachfagen zu dessen Zusammenarbeit mit der Polizei in die Enge treiben, kostet Wüppesahl unverhohlen aus. Herablassend grinst er auf Andreas Sch. herab, kommentiert dessen Aussagen mit amüsiertem Auflachen oder Kopfschütteln. „Herr Wüppesahl, Sie sind hier der Angeklagte“, weist der Vorsitzende Richter Gerhard Schaberg ihn einmal zurecht. „Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen das klar ist.“

Andreas Sch. windet sich unter dem stechenden Blick des früheren Freundes, als ob er ihn im Rücken spürt. Je stärker er in die Mangel genommen wird, desto mehr avanciert der Staatsanwalt zu seinem Verteidiger. Für diesen steht und fällt die Anklage mit dem Kronzeugen. Staatsanwalt Peter Stechmann hat Andreas Sch. in Absprache mit der Polizei als Lockspitzel eingesetzt und die Übergabe von Pistole und Fleischerbeil mit vorbereitet, bei der Wüppesahl am 25. Oktober festgenommen wurde. Dass die Ermittler die Finger im Spiel hatten, nimmt nicht die Schuld von Wüppesahl, es mindert sie nur. Der Bundesgerichtshof (BHG) hat in anderen Fällen entschieden, dass die Strafe eines Angeklagten im unteren Bereich anzusetzen ist, wenn dieser unter polizeilichem Mitwirken ein Verbrechen begangen hat.

Doch nicht nur der brutale und dilettantisch daherkommende Tatplan gibt vor Gericht Rätsel auf. Offen ist auch die Frage, was Andreas Sch. veranlasst hat, seinen Freund hinter Gitter zu bringen. Er selbst sagt, dass er mit seiner Anzeige „ein schlimmes Verbrechen verhindern wollte“. Das aber hätte er einfacher haben können. Er hätte dem Freund gehörig den Kopf waschen können, als der ihm von seinem brutalen Plan erzählte. Stattdessen ist er zur Polizei gegangen – und zwar sofort. Schon beim zweiten Treffen mit Wüppesahl, in einem Café in Bergedorf, hört die Polizei mit.

Aktiver Lockspitzel

Und der Lockspitzel hat sich nicht nur der Regie der Polizei ausgeliefert. Seine Wortwahl ändert sich im Laufe der Vernehmung, die sich bereits seit Prozesseröffnung im März hinzieht, immer mehr. Plötzlich hat er nicht mehr nur „alles getan, was von mir verlangt wurde“. Auf Nachfragen räumt er ein: „Ich habe selber eine freiwillige Telefonüberwachung meines Telefones angeboten.“ Als Wüppesahl ihm einmal das Versprechen abringen wollte, dass er beim Raubüberfall auf ihn zählen könne, da habe er gesagt: „ich bin dabei“– und heimlich weitergedacht, „dich in den Knast zu bringen“. Denkt man so, wenn man nur ein Verbrechen verhindern will?

Die Verteidigung deutet mit ihren Fragen an, dass der Kronzeuge sich womöglich einen finanziellen Vorteil davon versprochen habe, sich der Polizei zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite gilt Geldnot auch als mögliches Tatmotiv für Wüppesahl. Der ist regelmäßig ins Casino gegangen. „Teilweise waren um die 10.000 Euro im Spiel“, beschreibt Andreas Sch. die Spielbankbesuche, bei denen er manchmal dabei war – auf Rechnung von Wüppesahl. Vergangenen Herbst, als dieser den Raubmord geplant haben soll, drohte er seine regelmäßigen Bezüge zu verlieren. Das Landgericht hatte ihn wegen einer Auseinandersetzung im Straßenverkehr zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Wüppesahl war vom Dienst suspendiert.

Das Urteil wurde inzwischen aufgehoben – da aber saß der „kritische Polizist“ und frühere grüne Bundestagsabgeordnete bereits wegen Vorbereitung eines Raubmordes in Untersuchungshaft.