SUSANNE LANG über DIE ANDEREN
CDU wählen?
: Herr Laumann, wir müssen reden!

Auch mit der CDU kann es nicht mehr schlimmer werden? Na, dann mal ran an die Helden der schwarzen Revolution

Er heißt Karl-Josef: der Retter. Das CDU-Gesicht des Umsturzes. Herr Laumann aus dem agrophilen Münsterland, 47 Jahre alt, arbeitspolitischer Sprecher der Union, Merz-Nachfolger. Gelernter Schlosser. Arbeitnehmerflügel. Kein Medienfetischist. Ein Ausschuss-Politiker. Uncharismatisch. Das Gegenmodell zum rot-grünen Regierungshabitus, an den sich viele doch ganz gerne gewöhnt haben.

Neulich im ZDF stand er da mit seinen roten Wangen und den Segelohren und fokussierte beständig den Boden, während er etwas von Investitionsfeindlichkeit der SPD nuschelte. Karl-Josef, der Bodenständige. „Besser für die Menschen“, sagt die CDU in NRW, die nach 39 Jahren von Rot und Grün „befreien“ möchte. Karl-Josef soll Arbeitsminister werden. Und Sozialminister. Er hat Ahnung, sagen sogar seine politischen Gegner. Der wäre die Alternative für all die „Schlimmer kann’s eh nicht mehr werden“-Nöhler. Leider ist Karl-Josef sehr beschäftigt. Ein Date unter vier Augen ist nicht drin. Ich musste ihm nach.

Die Bahn tat ihr Bestes. NordWestBahn, privatisiert, Musterbeispiel für den deregulierten Markt. Ich saß artig auf den blitzpolierten blauen Sitzen im „Warendorfer“. Die Fahrt zog sich, aber jede Kolonisation braucht ihre Zeit. Andererseits: Arbeit hat Vorfahrt! Die Bahn trötete, was der High-Tech-Schlot hergab. „Tröööuit“, „tröööuit“. Kurz vor Telgte wurde mir mulmig. Doch Gefahr im Verzug? Tiere auf der Schiene? Arbeiter? Günter Grass? Neben den Schienen überholte der Tierfuttertransporter Muskator. Ob Karl-Josef warten würde?

Er tingelt gerade durch alle NRW-Wahlkreise, gnadenlos, bis zum 22. Mai. Diesmal: das Städtchen Warendorf, gut 20 Kilometer von Münster, der Studenten- und Beamtenstadt. Noch mal gut 20 Kilometer weiter liegt Ahlen, Zechenstadt, stillgelegt. Wahlkampfpfründe für alle Lager. „Tröööuit!“: Warendorf. Ab ins West-End, die Kneipe, in der Karl-Josef die Vertreter der Wohlfahrtsverbände treffen würde. Thema: Hartz IV.

Von da an ging alles sehr, sehr schnell. Im West-End: ein Österreicher mit freundlichem Grinsen, Pacht- und Ausschankrecht, aber keinem Wahlrecht. „So ein kleiner Jörg Haider wäre hier nicht schlecht, hört man, oder?“, sagt er, der Wirt. Dann: ein Händedruck, von ihm, der mit sicherem Gespür für wahlfähiges Volk mir prompt nach Betreten des Lokals seine Hand entgegenstreckte. Ich hatte keine Gelegenheit, mich vorzustellen. Karl-Josef war schon weiter, im Saal.

– „Herr Laumann, Hartz IV, das ist ein Angriff auf die bürgerliche Mitte!“

Karl-Josef machte sich Notizen, wie auch zuvor, als er mit „Deregulierung und Entbürokratisierung“ und „ehrlichen Arbeitern, die mit der Schippe in der Hand wieder zupacken“-Sprüchen konterte.

– „Die CDU wollte nicht ans Lebensalter. Nehmen Sie jemanden, der seit seiner Lehre mit 15 einbezahlt hat, er wird arbeitslos mit 55 Jahren und kriegt 18 Monate Alg II! Und, sagen wir, der Aussiedler, der 10 Jahre einbezahlt hat, auch 18 Monate! Das erklären Sie mal jemandem!“

– „Herr Laumann, über welches Menschenbild sprechen wir eigentlich? Ein nur über den Faktor Erwerbsfähigkeit definiertes?“

Karl-Josef starrte auf seinen Zettel, plötzlich überkam ihn ein Schwepps-Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen – das ultimative Zeichen für eine Kampfansage.

– „Wie wollen Sie es denn anders machen! Es gibt kein Geld mehr zu verteilen. Wir müssen die Verschuldung stoppen!“

Ohne Kameras ist er definitiv in Form.

Herr Laumann, welches Menschenbild? Aber Karl-Josef wollte keine Wertedebatte. Er musste weiter. Nach Münster auf den Domplatz. Zu Dr. Angie Merkel, die mit „She’s a maniac“ angekündigt wird. Etwas später werden die grauhaarigen Sitzplatz-CDU-Anhänger kurzerhand auf das Grüppchen Asta-Rastas losgehen, als die mit „CDU – wir fördern soziale Selektion“-Schildern und Trillerpfeifen aufmischen. Schirrmacher hätte seine Freude gehabt: Methusalem, zum Anfassen. Angie wird sich mit Schulpolitik wehren, die die CDU besser machen werde, damit es keine unsozialen Pfeifer „wie euch hier“ mehr gäbe. Alle stillgeschaltet, für die Arbeitswelt. Das war es dann, das Menschenbild.

Karl-Josef stand nur da, in der zweiten Reihe, und lächelte, inmitten seiner „tollen Mannschaft“ aus dem Münsterland. Wir waren doch schon weiter, dachte ich, während die grau gediegenen Kohlköpfe auf der Bühne das Deutschlandlied anstimmten, „in guter alter Tradition“. Darauf ein „1-Euro-Bier“, CDU-gesponsert.

kolumne@taz.de Morgen: Jenni Zylka PEST & CHOLERA