„Rot-Grün kriegt die Quittung“

Der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Thomas Münch über die Nötigung von Arbeitslosen, Ein-Euro-Jobs als Form der Zwangsarbeit, den Vertrauensverlust der Politik und die Krise der Demokratie

INTERVIEW: ANDREAS WYPUTTA

taz: Herr Münch, in zehn Tagen wird in Nordrhein-Westfalen gewählt, und die SPD liegt in neuesten Umfragen bei nicht gerade berauschenden 34 Prozent. Eine Folge der Hartz-Gesetze?

Thomas Münch: Diese Stimmung gegen die Sozialdemokraten liegt in erster Linie an den so genannten Hartz-Reformen, am entschiedensten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik. Für die Arbeitslosen ist Hartz doch der Gipfel der Unverfrorenheit. Und da die SPD-geführten Regierungen keine neuen Jobs schaffen, die Arbeitslosenquote nicht verringern konnten, bekommen sie jetzt die Quittung.

Der Grundgedanke von Hartz lautete ‚Fördern und fordern‘. Sind die Wähler undankbar?

Es gibt nichts unsinnigeres als diese Floskel des Förderns und Forderns. Die Verantwortung wird auf die Arbeitslosen verlagert. Arbeitslosigkeit wird zum individuellen Problem, mit dem die Wirtschaft oder gar die Politik nichts zu tun haben. Die einseitigen Verträge, zu denen die Arbeitssuchenden gezwungen werden, nehmen die Arbeitsverwaltung, also die Arbeitsagenturen, aus der Verantwortung. Die so genannten Eingliederungsverträge, die von den Arbeitslosen unterschrieben werden müssen, sind doch nichts anderes als Nötigung.

Warum?

Die Arbeitslosen haben nur Pflichten, aber keinerlei Rechte – ganz im Gegensatz zu den Arbeitsagenturen. Wer die oft unsinnigen Anweisungen nicht befolgt, muss mit Leistungskürzungen von 30 Prozent rechnen. Dies und die völlig unzureichende Förderung führt zu der riesigen Verdrossenheit über Rot-Grün.

Aber die intensive Förderung ist doch ein Grundgedanke der Hartz-Gesetze.

Noch heute, viereinhalb Monate nach dem Start der Hartz IV-Regelungen, beschränkt sich die Förderung doch nur auf windige Ein-Euro-Jobs. Und die bieten keinerlei Perspektive auf ein reguläres Beschäftigungsverhältnis im ersten Arbeitsmarkt. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, das der Bundesagentur für Arbeit selbst untersteht, fehlen 7,2 Millionen Stellen. Erfolg bringen da nur Qualifizierungen und Fortbildungen. Ein sechsmonatiger Aushilfsjob bietet da keine Jobperspektive. Früher hieß so etwas Zwangsarbeit.

Politik und Arbeitsagenturen argumentieren aber, gerade die Ein-Euro-Jobs vermittelten grundlegende Qualifikationen, etwa frühes Aufstehen und damit Pünktlichkeit.

Jetzt wird der Eindruck erweckt, die Arbeitslosen seien alle psychisch krank, faul, alkoholabhängig, könnten nicht aufstehen. Dabei brauchen sie keine Therapie, sondern Arbeitsplätze. Hier wird doch die Kausalkette völlig verdreht, so dass die Menschen jetzt als Verursacher ihrer eigenen Arbeitslosigkeit da stehen. Fakt bleibt aber: Der Massenarbeitslosigkeit liegt kein Vermittlungsproblem zugrunde. Deshalb wird die Politik des ‚Förderns und forderns‘ nicht greifen, und deshalb wird in einem Jahr auch niemand mehr über Ein-Euro-Jobs reden.

Wieso denn das?

Wer redet denn heute noch über so tolle Ideen wie die Personal-Service-Agenturen? Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement und seinen Helfershelfern wird etwas Neues einfallen. Und seine Frau wird wieder sagen: Wer Arbeit will, der kriegt auch welche. Das eine solche Politik bestraft wird, ist doch klar.

Und warum übt sich die SPD dann in Kapitalismuskritik?

Rot-Grün will die Unternehmenssteuern senken, schiebt der Wirtschaft also das Geld in den Hintern. Und gleichzeitig redet SPD-Chef Franz Müntefering von Heuschrecken. Verlogener gehts doch dar nicht mehr.

Was wäre die Alternative?

Ich fordere die Wiederherstellung einer solidarischen Arbeitsmarktpolitik. Neben der Qualifizierung brauchen wir eine tarifvertraglich abgesicherte öffentliche Beschäftigung, einen zweiten Arbeitsmarkt, der seinen Namen auch verdient.

Nichts läge der CDU ferner...

Die Unterschiede zwischen SPD und CDU sind marginal. Deshalb ist die Unzufriedenheit mit der Politik riesig – und führt zur Wahlenthaltung immer größerer Kreise, zur Krise unserer repräsentativen Demokratie.