Abschiebung gestoppt

Gerichtshof für Menschenrechte verhindert, dass Italien elf Bootsflüchtlinge wieder nach Libyen zurückschickt

ROM taz ■ Mit einer einstweiligen Verfügung stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Mittwoch vorerst die Abschiebung von elf Bootsflüchtlingen aus Italien nach Libyen. Just am Tag des Gerichtsentscheids landeten wieder mehr als 1.000 Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa an. Das sind zwei schlechte Nachrichten für Italiens Regierung: Einerseits wird deutlich, dass trotz der intensiven Kooperation mit Libyen der Flüchtlingszustrom stärker von meteorologischen Bedingungen auf dem Mittelmeer abhängt als von koordinierten Repressionsmaßnahmen. Andererseits gerät die italienisch-libysche Kooperation unter wachsenden europäischen Druck.

Noch hat der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg nicht in der Sache entschieden. Grundlage seines vorläufigen Stopps war der Einspruch eines italienischen Anwalts gegen die Abschiebung von 79 Flüchtlingen, die im März in Lampedusa angekommen waren. Sie sollten, wie schon gut 1.000 vor ihnen, umgehend nach Libyen zurückverfrachtet werden. Der Einspruch gründete darauf, dass Libyen keine menschenrechtskonforme Behandlung der Flüchtlinge gewährleiste und Italien sich zudem der international geächteten Kollektivabschiebung ohne Einzelfallprüfung schuldig mache. Der bisherige Gang des Verfahrens in Straßburg scheint gerade diesen zweiten Verdacht nachdrücklich zu bestätigen. Vom Gericht um Auskunft über den Verbleib der 79 ersucht, teilte das Innenministerium nur mit, das 14 zurückgeschickt worden seien und 11 vor der Abschiebung stünden. Über den Verbleib der anderen 54 konnten die italienischen Behörden keine Angaben machen – Indiz dafür, dass von detaillierter Einzelfallprüfung keine Rede sein kann.

Jetzt hoffen der Italienische Flüchtlingsrat, das UNHCR und amnesty international, dass Italien wenigstens bis zu dem Sachentscheid Straßburgs die seit letzten Herbst geübte Praxis der Eilabschiebungen nach Libyen stoppt. In den letzten Tagen trafen wieder zahlreiche mit Menschen vor allem aus dem Nahen Osten besetzte Kähne in Lampedusa ein. Auch nach der jüngsten Ankunft von mehr als 1.000 Flüchtlingen in das auf 190 Plätze ausgelegte, überfüllte Flüchtlingslager auf Lampedusa bleibt Außenstehenden der Zugang verwehrt. Ein Großteil der Insassen muss im Freien campieren.

Die Tageszeitung La Repubblica berichtete gestern, in der Nacht auf Donnerstag hätten im Lager chaotische Verhältnisse geherrscht. Einige Flüchtlinge hätten gegen ihre Behandlung revoltiert, acht sei der Ausbruch gelungen. Um die Lage zu entspannen, begannen die italienischen Behörden gestern, einen Teil der Insassen auszufliegen – nach Crotone auf dem italienischen Festland. MICHAEL BRAUN