Die Verantwortung der Väter

Cannes Cannes (6): Jean-Pierre und Luc Dardenne wie Jim Jarmusch gehen auf ganz unterschiedliche Weise der Frage nach, was denn Vaterschaft eigentlich bedeutet

Zwei Filme über Vaterschaft bereichern den Wettbewerb. Der erste stammt von den Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne und heißt „L’enfant“ („Das Kind“). Die beiden Belgier waren schon zweimal in Cannes, jedes Mal hatten sie großen Erfolg: „Rosetta“ erhielt 1999 die Goldene Palme und den Preis für die beste Hauptdarstellerin, „Le fils“ („Der Sohn“, 2002) den Preis für den besten Hauptdarsteller. Der neue Film heftet sich zunächst einer jungen Frau an die Fersen. Sonia (Déborah François) ist fast noch ein Teenager, und doch trägt sie ihr Kind im Arm, einen Jungen, Jimmy, wenige Tage alt. Sie sucht den Vater, Bruno (Jérémie Renier), dem das Hauptinteresse des Films gelten wird. Bruno ist ein Kleinkrimineller, manchmal charmant, meistens unzuverlässig, alles kann er in Geld verwandeln: eine geklaute Digitalkamera, seinen Hut, die Wohnung der jungen Mutter, während diese im Krankenhaus ist. Als ihm ein Angebot für das Neugeborene unterbreitet wird, sagt er nicht Nein. Die Sequenz, in der er das Kind eintauscht, ist beklemmend. Bruno bettet den Säugling in einer leer stehenden Wohnung auf seine Jacke und lehnt sich im Nebenzimmer an die Wand. Als sein Mobiltelefon einmal läutet, geht er ins andere Zimmer und sammelt die Scheine ein – man hat noch gar nicht begriffen, was er tut, da ist es schon geschehen. „Ich dachte, wir könnten einfach noch ein Kind machen“, sagt Bruno später zu seiner Freundin. Nicht mal eine Ausrede glaubt er erfinden zu müssen. Die Dardennes inszenieren dies, ohne dass sie ihr Publikum zu einer Emotion zwängen; sie zeigen, was geschieht, und verzichten auf zusätzliche Emphase. Dabei bleiben sie der dynamischen Kameraarbeit der Vorgängerfilme treu, die Figuren sind fast immer in Bewegung, auf der Flucht, sie gehen stets eine Spur zu eilig durch die Straßen. Dass sie nur entkommen können, indem sie innehalten, müssen sie in einer schmerzreichen Prozess begreifen lernen.

Jim Jarmusch wählt für „Broken Flowers“ einen ganz anderen, leichteren Tonfall. Sein Film ist eine melancholische Meditation in ruhigen Bildern über einen Schwerenöter, der alt geworden ist. Eines Tages erhält dieser Mann, Don Johnston ist sein Name, einen rosafarbenen Brief, in dem ihm eine seiner einstigen Geliebten eröffnet, dass er einen Sohn habe. Obwohl dem Brief Unterschrift und Absender fehlen begibt sich Don auf die Suche. Da er von Bill Murray gespielt wird, nimmt es nicht wunder, wenn sich alles Melancholische komödiantisch einfärbt. Murrays versteinertes Gesicht muss nichts tun, und schon hat er das Publikum auf seiner Seite; einfach nur reglos in der Bildmitte sich positionieren muss er sich, und schon bringt er jeden zum Lachen. Don reist quer durch ein frühherbstliches Amerika, trifft seine einstigen Geliebten und versucht in Zufällen Zeichen zu sehen, die auf seinen Sohn hinweisen. Jarmusch spielt mit dieser Zeichenhaftigkeit, er spielt mit der Farbe Rosa, mit sprechenden Namen, er spielt mit den Streifen an Dons Trainingsanzügen, die sich in der Kleidung eines jungen Mannes – seines Sohnes? – zu verlängern scheinen. Die Rosen, die Don einer der Frauen mitbringt, finden sich im Inneren ihres Hauses auf einem kitschigen Gemälde antizipiert: Je deutlicher die Zeichen, desto weniger haben sie zu sagen. Am Ende weiß man nicht, wer der Sohn, wer der Vater und wer die Mutter ist. Doch Jim Jarmusch hat nach langer Pause wieder einen Spielfilm gedreht.

CRISTINA NORD