Bei Nazis verschlägt’s den Medien die Sprache

Erfahrene Medienvertreter finden: Viele Journalisten sind im Umgang mit Rechtsextremisten nicht geschult. Sie plädieren für mehr Kontinuität und Nachhaltigkeit in der Berichterstattung. Über Aufmärsche berichten reiche nicht

Es ist sicherlich nicht das erste Mal gewesen, dass ein Talkmaster im Gespräch mit einem unliebsamen Gast am Ende ganz blöd da steht. Aber Erich Böhmes Auftritt in seiner Sendung „Talk in Berlin“, die der Nachrichtensender n-tv am 6. Februar 2000 ausstrahlte, steht exemplarisch dafür, wie hilflos selbst viele erfahrene Journalisten plötzlich sein können, wenn ihnen ein Rechtsextremist vor laufender Kamera unerwartet Paroli bietet. Böhme hatte bei sich im Studio den damaligen Vorsitzenden der österreichischen FPÖ, Jörg Haider, zu Gast. Bereits im Vorfeld kündigte Böhme an, er werde den Rechtsextremisten Haider demaskieren. Doch der Fernsehmoderator scheiterte. Im Gegensatz zu seinem Gastgeber war Haider gut vorbereitet. Zum Teil absurde Vorwürfe, die ihn mit Hitlers Nationalsozialismus verglichen, konnte er mit Leichtigkeit widerlegen. Vor allem gelang es Haider, sich selbst im schillerndsten Licht darzustellen, während Böhme am Ende der Sendung ganz blass in die Kamera starrte.

Was war schief gelaufen? Das fragten sich am Donnerstagabend auch erfahrene Medienvertreter, die auf Einladung des „Vereins Berliner Journalisten“ über die Fragen diskutierten: Soll man mit Volksverhetzern Interviews führen? Wie gehen Fernsehreporter in Live-Situationen mit den fremdenfeindlichen Hassparolen der rechtsextremistischen Landtagsabgeordneten um? Soll man sie überhaupt zu Wort kommen lassen?

Nicht zuletzt der peinliche Auftritt der ZDF-Moderatorin am Abend der sächsischen Landtagswahlen im vergangenen September, die beim Gespräch mit den Spitzenkandidaten aus lauter Hilflosigkeit dem NPD-Funktionär Holger Apfel das Mikrofon ausschaltete, hat gezeigt: Viele Journalisten sind für den publizistischen Umgang mit Rechtsextremisten nicht hinreichend geschult.

Wie unterschiedlich die Redaktionen mit diesem Problem umgehen, zeigte sich auch bei der Diskussion. Frank Jansen, der sich als Reporter beim Tagesspiegel seit 15 Jahren intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt, hat in seiner Redaktion durchgesetzt, dass Interviews mit NPD-Funktionären grundsätzlich nicht geführt werden. Anders als in normalen Berichten, in denen Rechtsextreme durchaus zitiert werden könnten, habe der Befragte wegen der bei Interviews üblichen Autorisierung einen zu hohen Einfluss auf die Grundaussage, begründet Jansen seine Entscheidung.

Das sieht ARD-Hauptstadtkorrespondent Joachim Wagner zwar nicht ganz so. Aber wenn Journalisten Rechtsextremisten interviewen, dann sollten nur geübte Fachleute mit ausreichend Hintergrundwissen solche Gespräche führen. Leider fehle es vielen Journalisten jedoch an dem erforderlichen Training.

Beim Nachrichtensender N24 habe man den NPD-Vorsitzenden Udo Voigt bereits zu einer Talkshow geladen. „Alles hat bestens geklappt“, so Chefkorrespondent Hans-Peter Hagemes. Der Moderator habe unaufgeregt und gut vorbereitet auf Schwachstellen hingewiesen. Die Antworten des NPD-Funktionärs hätten für sich gestanden. Eine Kommentierung wäre bloß nach hinten losgegangen.

Die TV-Chefredakteurin der Deutschen Welle, Dagmar Engel, bemängelte, dass Journalisten ausgerechnet bei Gesprächen mit Rechtsextremisten häufig ihre distanzierte Rolle verließen. Viele spielten sich als Frontkämpfer gegen Neonazis auf. Die persönliche Meinung eines Reporters habe ihrer Meinung nach in der aktuellen Berichterstattung aber nichts zu suchen. Da fühle sich der Zuschauer nur entmündigt.

Jansen plädierte für mehr Kontinuität in der Berichterstattung über Rechtsextremisten und bezeichnete es als „ein großes Manko“, dass sich abseits von Aufmärschen und Wahlen zu wenige Journalisten mit dem Thema beschäftigen. Dabei sei doch der Alltag der Neonazis und deren Umfeld das eigentlich Berichtenswerte. FELIX LEE