Der glamouröse Blick einer Frau

Werke der französischen Skandalfotografin Bettina Rheims geben immer Anlass zu Empörung. Ihre Fotos von Frauen und gesellschaftlichen Außenseitern loten den guten Geschmack bis an die Grenzen des Vulgären aus. Eine Retrospektive in Düsseldorf zeigt nun annähernd 200 dieser Bilder

VON KÄTHE BRANDT

„Das Auffälligste an all diesen Bildern ist nicht so sehr, wie die Figuren sich präsentieren wollen, sondern die Tatsache, dass sie beschlossen haben, sich selbst zur Schau zu stellen“, sagt Kim Levin über die Fotografien von Bettina Rheims. Tatsächlich ist die Selbstdarstellung zentrales Thema der im schönsten Wortsinn anstößigen Fotografien von Rheims im NRW-Forum. Die 1952 in Paris geborene Künstlerin präsentiert in ihrer ersten Retrospektive alle Serien, die in 25 Jahren entstanden sind, einschließlich der erstmals vollständig präsentierten Arbeiten „Shanghai“ (2002).

Rheims hat früh damit begonnen, Zufallsbekanntschaften, Stripteasetänzerinnen oder Akrobaten als ProtagonistInnen ihrer Bilder auftreten zu lassen. Ihre große Leidenschaft scheinen dabei diejenigen Personen zu sein, die Ränder einer Gesellschaft bevölkern und vermutlich davon träumen, dort bald wegzukommen. Androgyne Teenager an der Schwelle zum Erwachsenwerden, sich aufreizend präsentierende junge Frauen, Transsexuelle und die weiblichen Bewohner Shanghais – all diese Motive bekommen in den Fotografien eine besondere Ästhetik, die ein Wechselspiel zwischen intimer Nähe und professioneller Distanz der Künstlerin zu ihren Modellen widerspiegelt.

Ganz ähnlich ergeht es offenbar auch den prominenten Darstellern ihrer Porträts. Die Künstlichkeit der Szenerie und die Hochglanzästhetik der Fotos haben immer wieder dazu geführt, dass vor allem deren technische Finesse vom eigentlichen Thema ablenkt. Das Handwerkliche dient Bettina Rheims als Rettungsanker für irritierte – männliche wie weibliche – Betrachter, die sich mit ihren eigenen Vorstellungen aufreizender Weiblichkeit konfrontiert sehen.

Kim Harlow, die sich nach 30 Operationen von einem Mann in eine Frau verwandelt hat, präsentiert diesen Umwandlungsprozess in umgekehrter Reihenfolge vor der Kamera. In eigener Regie inszeniert sie ihre Selbstfindung und -konstruktion. Entstanden sind Bilder von verstörender Eindringlichkeit. Ihre Einsamkeit ist gerade dort besonders greifbar, wo sie sich hinter der Maske des Klischees zu verbergen sucht. Verletzlich sind die Bilder auch, wenn klar wird, dass die Illusion, die sie versprechen, zweifelhaft ist. Sie sind Vortäuschungen einer Weiblichkeit, die hier jedoch nicht nur durch den männlichen Blick konstruiert, sondern als dem weiblichen Begehren selbst eingeschrieben erscheint.

Die Arbeiten einer Frau über das Bild der Frau und gesellschaftlicher Außenseiter bleiben verstörend, loten den guten Geschmack bis an die Grenzen des Vulgären aus, stellen Tabus rücksichtslos zur Schau. Bewusst zweideutig setzen sie sich mit den verborgenen Geheimnissen des Begehrens auseinander, stellen die bildliche Konstruktion der sexuellen wie der gesellschaftlichen Identität zur Diskussion. Kurz: Sie sind ästhetisch glatte und technisch tadellose Provokation.

Die berühmten Modelle ihrer Porträts (Catherine Deneuve, Madonna oder Claudia Schiffer) werden, ebenso wie die namenlosen Passantinnen, Stripperinnen, Transsexuellen oder Verkäuferinnen, in Strapse und Dessous gesteckt, präsentieren sich in aufreizenden Posen. Scheinbar schonungslos setzt Bettina Rheims intime Situationen für ihre Kamera in Szene und doch berühren die Bilder gerade wegen dieser sichtbaren Posen. Die Dargestellten inszenieren sich zwar auf verschiedene Weise, zeigen aber genau darin einen Teil ihrer Persönlichkeit, ihrer Seele.

Wunderbar ist das an den Serien „X-mas“ (1999-2000) und „Chambre Close“ (1991) nachzuvollziehen. Hier stilisieren sich junge Frauen als Objekte: „In welchen Posen und in welcher Umgebung fühlen Frauen, dass sie erotisch aussehen?“ Sinnbilder der imaginierten erotischen Situationen sind aber zumeist die Orte gängiger Pornoproduktionen, aufgeführt mit einer ungewohnten Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit. Denn Rheims zeigt die vielen entblößten Frauen nicht aus voyeuristischer Lust, sondern, so betont die Künstlerin, sie möchte „zusammen mit den Frauen verstehen, was es bedeutet, eine Frau zu sein und was die gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen des Frau-Sein sind“.

Die sichtlich theatrale Inszeniertheit der Fotografien wird in Düsseldorf als eine Strategie der medialen und künstlerischen Selbstreflexion und Nabelschau ausgestellt. „Ich fotografiere nicht das wirkliche Leben,“ sagt Bettina Rheims. Das sich das dennoch einschleicht, hat Rheims nicht nur einkalkuliert, sondern geradezu provoziert.