DIE BEFRAGUNG VON LANGZEIT-ARBEITSLOSEN IST NUR KONSEQUENT
: Fordern, fördern, bespitzeln

Die Neugier der Bundesagentur für Arbeit ist fast unbegrenzt. Sie will nicht nur alles über die Fachkompetenz von Langzeitarbeitslosen wissen, sondern schreckt selbst vor intimen Fragen nicht zurück. Im Vermittlungsgespräch sollen die Arbeitslosen auch über ihre Freundschaften oder ihr Vereinsleben berichten – so steht es in einem aktuellen Fachkonzept für Fallmanager. Offiziell heißen die Arbeitssuchenden zwar „Kunden“, aber tatsächlich werden sie behandelt wie Verdachtspersonen, die gründlich ausgeforscht werden müssen.

Gelegentlich scheint der Bundesagentur selbst zu dämmern, wie erniedrigend es für die Langzeitarbeitslosen sein kann, dass ihre Intimsphäre nicht respektiert wird. So warnt das Papier davor, dass sich die Fallmanager als „Sozialdetektive“ missverstehen könnten. Doch letztlich bleibt es bei dem Furor, alle „Fehlentwicklungen“ und „Blockierungen“ bei den Langzeitarbeitslosen aufzuspüren. Also werden auch das Familienleben und die „Beziehungsstärke“ zum Thema.

Man kann diesen amtlichen Wissensdrang skandalisieren. Der Bundesdatenschutzbeauftragte dürfte alsbald prüfen, ob die Fallmanager ihre Neugier nicht ein wenig bremsen müssen. Aber die Empörung über einzelne Formulierungen im Fachkonzept greift zu kurz. Denn das Papier denkt nur konsequent zu Ende, was in dem Reformschlagwort vom „Fordern und Fördern“ bereits enthalten ist – Arbeitslosigkeit erscheint als ein individuelles Problem, als ein „Vermittlungshemmnis“ beim einzelnen Langzeitarbeitslosen. Da ist es nur konsequent, dass jede noch so intime „Blockierung“ entdeckt und „therapiert“ werden muss. Arbeitslosigkeit wird so zum Symptom einer psychischen Krankheit.

Das Strukturproblem Arbeitslosigkeit hingegen verschwindet. Es wird einfach ignoriert, dass das größte Vermittlungshemmnis darin besteht, dass es nichts zu vermitteln gibt: Es existieren kaum offene Stellen. Diese Verdrängungsleistung ist beachtlich, aber offenbar nötig, damit sich die Mehrheit der Gesellschaft sicher fühlen kann. Der jetzige Fragenkatalog dürfte daher nicht der letzte gewesen sein, der von den Arbeitslosen intime Auskünfte verlangt. ULRIKE HERRMANN