Amnesty greift Bundesregierung an

Die Chefin von amnesty international in Deutschland hält die Flüchtlingspolitik für „gefährlich und verantwortungslos“. Zudem fordert sie die Umsetzung der UN-Folterkonvention – und dass die Gewaltausübung der deutschen Polizei beobachtet wird

VON S. WRIGHT
UND S. TEGTMEIER

Menschrechte werden nicht nur im Irak, im Sudan oder der Türkei verletzt. Amnesty international (ai) kritisiert in seinem Jahresbericht 2005 erneut die Missachtung von Menschenrechten der deutschen Regierung. Bei der Vorstellung des Berichts gestern warnte die Generalsekretärin von ai Deutschland, Barbara Lochbihler, vor einer „gefährlichen und verantwortungslosen Asyl- und Flüchtlingspolitik“ und vor übermäßiger Gewaltausübung der Polizei. Zudem forderte sie die Umsetzung der UN-Anti-Folter-Konvention.

Ai kritisiert in dem Bericht die Pläne der Bundesregierung, Flüchtlinge aus dem Kosovo, Afghanistan und Togo in ihre Heimatländer abzuschieben. „In all diesen Ländern sind Menschen nicht sicher vor Gewalt und Verfolgung“, sagte Lochbihler dazu. Im Kosovo sei es derzeit nur ruhig, weil massive Aufgebote an KFOR-Truppen und Polizei die Minderheiten auseinander halten. In Afghanistan dauern die Kämpfe noch an, so Lochbihler. Im Togo würden Sicherheitskräfte die Oppositionellen verhaften und foltern. „Wir verurteilen daher alle diese Abschiebepläne aufs Schärfste“, sagte Lochbihler.

Zu den von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bestätigten Plänen, in Libyen Auffanglager für Flüchtlinge zu errichten, erklärte Lochbihler, Libyen habe die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet, kein funktionierendes Asylsystem und „katastrophale Haftbedingungen“. „Es kann doch nicht sein, dass die EU einem solchen Land die Erstbetreuung von Flüchtlingen anvertrauen will“, erklärte die Ai-Generalsekretärin. Die EU müsse die Anliegen von Flüchtlingen in jedem Einzelfall gewissenhaft und auf eigenem Territorium prüfen.

Zudem kritisiert ai, dass in Deutschland das Zusatzprotokoll der UN-Anti-Folter-Konvention noch nicht in Kraft getreten ist. Einige letzte Bundesländer müssten ihre „Blockadehaltung“ aufgeben, damit Regierung und Parlament unterzeichnen und ratifizieren könnten, sagte sie. Mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls soll ermöglicht werden, Gefängnissen oder psychiatrischen Anstalten durch ein unabhängiges Gremium zu inspizieren.

Mit Besorgnis sieht Lochbihler indes eine umgekehrte Tendenz: Drei Gesetzeskommentare seien erschienen, die „Folter billigen oder sogar für geboten“ halten. „Damit sehen wir die Säulen des Rechtsstaates gefährdet“, sagte Lochbihler.

Zudem fordert ai in seinem Bericht erneut, übermäßigen Gewaltsmissbrauch der deutschen Polizei zu beschränken. Bereits in einem Bericht im Januar 2004 setzte sich die Menschenrechtsorganisation dafür ein, Statistiken über Misshandlungsbeschwerden gegenüber von Polizisten zu führen. Schon damals forderten ai, eine unabhängige Stelle einzurichten, die Beschwerden von Einzelpersonen nachgeht und präventive Maßnahmen erarbeiten kann. „Obwohl diverse UN-Gremien dies unterstützen, sind beide Forderungen bisher nicht realisiert worden“, sagte Lochbihler. Auf internationaler Ebene kritisiert ai in seinem Jahresbericht nach wie vor den Missbrauch der Parole „Kampf gegen den Terror“ als Rechtfertigung, um Menschen „verschwinden“ zu lassen, ohne ordentliches Verfahren zu inhaftieren, zu misshandeln und zu foltern. Der Folterskandal im Bagdader Abu-Ghraib-Gefängnis sei bis heute nicht unabhängig und umfassend untersucht worden. Verantwortliche auf höherer Ebene würden entweder nicht oder nur geringfügig belangt.

„Viele Regierungen verfolgen heute eine menschenrechtsfeindliche Politik, obwohl sie sich formal zu Demokratie und Menschenrechten bekennen“, sagte Lochbihler, „sie verhöhnen die Menschenrechte.“