Kultur unter Druck

Seitenwechsel ausgeschlossen: Kenny Glenaans Spielfilm „Yasmin“ folgt einer Britin pakistanischer Herkunft

Yasmin hat sich ein Auto gekauft. Einen Kleinwagen, mit dem sie den weiten Weg zurücklegen kann, der zwischen den beiden Welten liegt, in denen sie lebt. Sie gehört zur pakistanischen Bevölkerung in Keighley, West Yorkshire, einer Mittelstadt in Nordengland. Tagsüber arbeitet sie mit behinderten Kindern. Die Kollegen sind Engländerinnen und Engländer. Sie trinken abends noch ein Bier im Pub, gehen aus zum Tanzen, und die Frauen machen sich manchmal an John heran, den einzigen männlichen Kollegen. Abends fährt Yasmin zurück zu ihrer Familie. In den für die Gegend typischen kleinen Reihenhäusern lebt sie mit ihrem Bruder und einem jungen Mann aus Pakistan, den sie aus Loyalität und wegen der Einwanderungspapiere geheiratet hat.

Das ist die Konstellation in „Yasmin“, einem Film von Kenny Glenaan, der auf sechsmonatigen Recherchen vor Ort beruht. Das Zusammenleben der ethnischen Gruppen in England war nie konfliktfrei. In jüngerer Zeit gibt es Anzeichen einer popkulturellen Ökumene, die sich in Filmen wie „Kick It Like Beckham“ äußert, dabei aber gleich mit Vehemenz in den Mainstream drängt. Archie Panjabi, die nun Yasmin spielt, hatte in „Kick It Like Beckham“ die Rolle der Pinky. Kenny Glenaan und der Drehbuchautor Simon Beaufoy sind jedoch eher von der sozialrealistischen Schule des britischen Kinos inspiriert. „Yasmin“ könnte in mancherlei Hinsicht auch von Ken Loach sein, allerdings gibt es in dieser Geschichte kaum Anhaltspunkte für Klassenromantizismus. Die kleinen Differenzen, mit denen der Film beginnt, schlagen an einem Nachmittag urplötzlich in unüberbrückbare kulturelle Abgründe um: Am 11. September 2001 wird in New York das World Trade Center angegriffen. Yasmin und ihre Kolleginnen sehen die Bilder im Fernsehen, und schon bald sehen die Kolleginnen Yasmin in einem anderen Licht. Sie wird ohne große Überlegungen ihrer Herkunftsgruppe zugeschlagen. Es spielt nun keine Rolle mehr, dass sie in ihrer Arbeit sehr beliebt ist. Es ist unwesentlich geworden, dass John (Steve Jackson) mehr als wohlwollend mit ihr umgegangen ist. Die Mechanismen des Verdachts, die sich gegen Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis richtet, erfassen auch Yasmin. Als die Polizei in ihre Wohnung eindringt und ihren Ehemann vorfindet, der des Englischen kaum mächtig ist, wird Yasmin in eine Solidarität gezwungen, aus der sie mit ihrem Kleinwagen immer wieder geflüchtet war.

Glenaan und Beaufoy zeigen vielleicht ein wenig zu didaktisch, dass Kultur unter Druck erst produziert wird. Die Unterschiede, die sich im Alltag einebnen, werden in der Krise von beiden Seiten wieder betont. Yasmin ist die Figur, die das mit sich ausmachen muss. Sie beginnt, das Kopftuch, das sie zuletzt nur noch aus Gründen der Konfliktvermeidung getragen hatte, wieder als Zeichen zu verstehen. Sie definiert, anfangs trotzig, später immer mehr auch aus Einsamkeit, ihre Gruppe neu. Ihr Vater, von Shahid Ahmed beeindruckend differenziert gespielt, ist kein Fundamentalist, aber er versucht, seine überlieferte Ordnung in einem feindseligen Umfeld durchzusetzen. Glenaan und Beaufoy gehen in „Yasmin“ an die Grenzen einer liberalen Gesellschaftstheorie. Sie schonen dabei die englischen Figuren nicht, im Gegenteil würden John und einige Kolleginnen noch ein wenig psychologisches Profil vertragen. Sie schlagen sich zu schnell auf eine Seite. Die Tragik wird dadurch schablonenhaft, und die Qualität von „Yasmin“ erscheint eher innerhalb der Beschränkungen seines Formats, eines „kleinen“ politischen Films, auf Video gedreht, auf Feldforschung beruhend. Viele Nuancen werden hier einer Vorstellung von Repräsentation geopfert, die auf Typologie hinausläuft: Jede Figur vertritt eine Option im Kräftespiel. Nicht das Spezifische an ihrem Verhalten interessiert, sondern die Position im allgemeinen Zusammenhang. Darin liegt die Aporie einer bestimmten Form des politischen Kinos, die rekapituliert und veranschaulicht, was begrifflich bereits erschlossen ist. „Yasmin“ will gesellschaftliches Wissen popularisieren, erreicht in den Programmkinos aber nur eine Mittellage zwischen tatsächlich populärem Kino und radikaleren, spezifischeren Formen. BERT REBHANDL

„Yasmin“. Regie: Kenny Glenaan. Mit Archie Panjabi, Renu Setna u. a. Großbritannien/Deutschland 2004, 87 Min.