„Die Krankheit zu spät erkannt“

Dass ein Häftling mit Herzinfarkt im Abschiebeknast zu spät behandelt wurde, gibt Polizeipräsident Glietsch zu. Er bezweifelt aber, dass das Personal nicht reagiert habe, als Insassen Hilfe holen wollten

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Glietsch, ein Häftling mit Herzinfarkt musste im Abschiebeknast vier Stunden auf die richtige medizinische Behandlung warten. Schreit dieser Vorfall nicht nach Konsequenzen?

Dieter Glietsch: Wenn sich im Laufe des Ermittlungsverfahrens herausstellt, dass wir personelle Konsequenzen ziehen müssen, weil sich jemand vorwerfbar fehlverhalten hat, werde ich das tun. Bis zum nächsten Innenausschuss in zehn Tagen bin ich hoffentlich genauer im Bilde.

Haben Sie Zweifel an den Berichten?

Fest steht für mich: Es ist zu spät erkannt worden, dass der Insasse eine sofort behandlungsbedürftige Krankheit hatte. Im Übrigen sind Zweifel berechtigt.

Das Personal soll mit Gelächter und Worten wie „Ihr seid doch alle krank“ reagiert haben, als Mitgefangene Hilfe holen wollten. Halten Sie das für ausgeschlossen ?

Nichts ist ausgeschlossen. Aber nach allen Erfahrungen der letzten drei Jahre spricht sehr viel dafür, dass das so nicht war, denn wir haben uns sehr intensiv um die Verbesserung der Situation in der Abschiebehaft bemüht. Die Bemühungen, aus einer Verwahranstalt einen Gewahrsam mit einer menschenwürdigen, sozialen Betreuung zu machen, sind von allen Mitarbeitern mitgetragen worden. Alle, der ärztliche Dienst und das Bewachungspersonal, sind in dieser Richtung qualifiziert worden. Da ist unheimlich viel geschehen.

Wollen Sie damit andeuten, der Vorfall ist nur ein Ausrutscher?

Mit Sicherheit ist es ein Einzelfall. Die ärztliche Betreuung ist gut organisiert. Eine Fehldiagnose durch einen Sanitäter oder Arzt ist nirgendwo auszuschließen.

Die Frage ist, welche Grundhaltung dahinter steckt, wenn Beamte nicht auf Hilferufe reagieren.

Sie unterstellen, dass der Vorwurf stimmt. Ich habe Grund, daran zu zweifeln. Wir haben mit Erfolg daran gearbeitet, die Einstellung der Mitarbeiter, soweit sie denn veränderungsbedürftig war, zu verändern. Alle Kolleginnen und Kollegen haben sich an einer zwölftägigen Fortbildung – veranstaltet vom Xenos-Projekt mit dem Bund gegen ethnische Diskriminierung – beteiligt. Darin ging es ausschließlich um die Kommunikation, Konfliktbewältigung, Deeskalation und Verständnis für die Situation von Migranten in Haft.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen sagt, es dauert immer sehr lange, bis bei gesundheitlichen Beschwerden reagiert werde.

In meiner dreijährigen Amtszeit ist in dieser Hinsicht nicht ein einziges Mal ein Vorwurf erhoben worden, der berechtigt gewesen wäre.

Eine Verbesserung der Organisation, was die medizinische Versorgung angeht, halten Sie also nicht für erforderlich?

Nach meinem heutigen Kenntnisstand nicht. Auch damit wäre keine Fehldiagnose zu verhindern.

Der mehrwöchige Hungerstreik im Abschiebeknast zeigt, dass die Stimmung äußerst angespannt ist. Der Vorfall ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die eine menschenwürdige Behandlung vermissen.

Jetzt sage ich Ihnen noch einmal, was wir in den letzten drei Jahren gemacht haben …

das haben Sie schon. Bitte nicht ungehalten werden.

Ich bin nicht ungehalten, sondern ein bisschen emotional berührt, wenn ich Zeitungskommentare lese …

Sie meinen den Guantánamo-Vergleich der Berliner Zeitung?

Den Vorwurf, wir würden Verstöße gegen die Menschenwürde akzeptieren, weise ich mit allem Nachdruck zurück. Der Grundsatz „so viel soziale Betreuung wie möglich und so viel Bewachung wie nötig“ wird sehr ernst genommen.

Genießt der Anstaltsleiter des Abschiebegewahrsams noch Ihr volles Vertrauen?

Herr Kiele zeigt einen ungeheuren Einsatz. Ich kann mir an dieser Stelle überhaupt keinen anderen wünschen.