Schlager für Streithähne

Das traditionelle Songformat für die Órgano Oriental ist der Danzón, ein aus dem französischem Contredanse entstandener Tanz. Ein ungebrochen beliebter Drehorgel-Danzon ist etwa „El Cadete Constitucional“, geschrieben von Jacobo Ruvalcaba (1895 bis 1960), dem Großvater des berühmten Jazzpianisten Gonzalo Ruvalcaba.

Die Hymne der Orgeln aber ist der Danzón „El Jorocón“: „Wer den Jorocón nicht im Repertoire hat, hat keine Orgel“, pflegt man in Niquero zu sagen. Ein Jorocón ist ein Geck, ein Gockel – einer, der auf dicke Hose macht, wenn er auf ein Tanzfest kommt. Solches Gebaren führt in den Orgelnächten bisweilen zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Gästen, bei denen auch der Rum eine Rolle spielt. Allein die Musiker erhalten üblicherweise pro Nacht 3 Flaschen Rum gestellt, die Besucher stehen dem in nichts nach. Zum Ende der Veranstaltungen kommt es regelmäßig zu Streit, weil das Publikum nicht einsehen mag, dass das Ensemble Feierabend macht. Die kubanische Drehorgel wird daher im Volksmund auch „El Buscarpleito“, der Streitsucher, genannt.

Neben den traditionellen kubanischen Genres Danzón, Bolero, Guaracha oder Chachachá sind im Land der Drehorgeln auch ausländische Hits beliebt: Kaum eine Orgelgruppe, die nicht ein Beatles-Potpourri unter ihren Lochkarten hätte. Oder Salsa-Evergreens wie Celia Cruz’ „La Vida Es Un Carnaval“ oder „Devorame Otra Vez“ („Verschlinge mich noch ein Mal“) von Lalo Rodriguez oder „Guajiro Natural“ von Polo Montañez.

Doch die Orgelbauer müssen stets nachrüsten. Vor zwei Jahren ist auch auf Kuba das Reggaeton-Fieber ausgebrochen. Reggaeton, entstanden in Panama, ist Latin-Dancehall-Reggae, der heute vor allem durch Puerto-Ricaner und US-Latinos repräsentiert wird. Vor allem der Sänger Don Omar hat es im Oriente geschafft: Ohne seine Hits „Pobre Diabla“ und „Cuentale“ zündet im kubanischen Osten keine Orgelparty mehr.

Bei all der in Lochkarten gestanzten globalisierten Popkultur darf man nicht den Aspekt der „Vermassung der Volkskultur durch die revolutionäre Regierung“ vergessen, wie Niqueros Stadthistoriker Alberto Debs es formuliert. Für die Vertreter der KP Kubas im Oriente ist die Lochstreifenorgel nicht zuletzt kultureller Ausdruck des Freiheitskampfs des kubanischen Volkes, der laut Parteidoktrin mit dem Aufstand gegen die spanische Kolonialmacht am 10. Oktober 1868 beginnt und mit dem Triumph von Castros Guerrilla am 1. Januar 1959 endet. Die revolutionärste Orgel von allen ist La Música: „Immer wenn diese Orgel aufs Land fuhr, hatte sie in ihrem Innern Waffen oder Botschaften für die Aufständischen“, erklärt Julio César vom „Radio Portada de La Libertad“. CT