Lied und Tanz und Toleranz

Formvollendet, aber ästhetisch um gut ein Jahrzehnt zurück: Yash Chopras Film „Veer und Zara – Die Legende einer Liebe“ verbindet jede Menge lautere Absichten mit allen Mitteln des Bollywood-Kinos

VON EKKEHARD KNÖRER

Es ist eine spektakuläre erste Begegnung: Mit dem Hubschrauber rettet der Geschwaderführer Veer Pratap Singh (Shah Rukh Khan) nach einem Busunglück Zaara Haiyyat Khan (Preity Zinta) und entschwebt mit ihr in die Lüfte. Zaara hat im Norden Indiens, wo sich das Unglück ereignet, nichts zu suchen. Sie ist ihrer Familie in Pakistan entwischt, um die Asche ihrer Großmutter an einer heiligen Stätte der Sikhs in Indien zu bestatten. Zaara ist Muslimin, und Veer, der Hindu, begleitet sie an den Fluss. Dort begegnen sie einem Sikh-Priester, der so vorurteilslos ist, wie es Inder und Pakistanis nach den hartgesotten humanistischen Vorstellungen dieses Films insgesamt sein sollten.

Das Drehbuch von Aditya Chopra schachtelt mehrere Befreiungs- und Emanzipationsgeschichten ineinander. Die eine, in Rückblenden erzählt, ist die der grenzenlosen Liebe zwischen Zaara aus Pakistan und dem Inder Veer, deren Grund-Plot in Bollywood bereits hundertfach auf seine melodramatische Tauglichkeit getestet ist. Der Liebe der beiden gerät ein Verlobter in die Quere, der dem Vater der Braut aus mehr als einem Grund der liebere ist. Veer muss verzichten und landet noch dazu im pakistanischen Knast. Dort findet ihn, zwanzig Jahre später, der Beginn des Films, mit einem Auftritt der jungen Anwältin Samiya Siddiqui (Rani Mukherjee), die seinen Fall neu aufrollen will. Sie bekommt es dabei, und das ist ein wichtiger Subplot, mit der verstockten Tradition in Gestalt eines Anwalts zu tun, dem sie noch etwas zu beweisen hat.

Wie ausdrücklich „Veer und Zaara“ auch auf eine Geschichte weiblicher Emanzipation hinauswill, wird noch an anderer Stelle deutlich, nämlich bei einem Besuch Zaaras bei Veers Familie in einem idyllischen indischen Dorf. Hier hat Amitabh Bachchan seinen umwerfenden Gastauftritt. Und anders als seit Aditya Chopras Hit „Mohabbatein“ (2001) üblich, der erstmals die beiden Superstars Khan und Bachchan konfrontierte, gibt er diesmal nicht die gestrenge Autoritätsfigur, sondern den gütigen Patriarchen, der sich von Zaara in Sachen Emanzipation der Frau unvermittelt eines Besseren belehren lässt.

„Veer und Zaara“ operiert also mit lauterster Absicht an mehreren Fronten. Hinaus läuft es auf eine große Versöhnungsrede vor Gericht, einen Aufruf zum Frieden im geteilten Subkontinent, der in der Liebe allegorisch dann auch hergestellt wird. In der Verschränkung von liberaler Botschaft und eskapistischer Form, im Ineinander von Song and Dance und Toleranzedikten, ist „Veer und Zaara“ ein Musterbeispiel dafür, wie sich politisch-utopisches Potenzial und die traditionelle Gestalt hinreißenden Bollywood-Entertainments bestens vertragen können.

Ästhetisch freilich ist der erste Film, den die Regie- und Produzenten-Legende Yash Chopra nach sieben Jahren Pause drehte, so wenig revolutionär wie sein gesamtes Werk. Bei allem Vergnügen, das er bereitet, hinkt „Veer und Zaara“ hinter dem derzeitigen Stand der Dinge in Bollywood doch mindestens ein Jahrzehnt hinterher. Er verweigert sich aktuellen Tendenzen zu mehr Realismus, wie sie gerade das erfolgreiche, ebenfalls von Yashraj produzierte Aids-Drama „My Brother Nikhil“ (2005) vorführt. Aber auch von den politisch-ästhetischen Verschärfungen, die mit Mani Ratnams Filmen, zuletzt „Yuva“ (2004), oder Govind Nihalanis „Dev“ (2004), in den letzten Jahren den Mainstream erreicht haben, trennen Yash Chopras Film Welten. Das klassische Bollywood stößt in „Veer und Zaara“ so formvollendet wie unübersehbar an seine Grenzen.

„Veer und Zara – Die Legende einer Liebe“. Regie: Yash Chopra. Mit Shah Rukh Khan, Preity Zinta u. a. Indien 2004, 192 Min.