Nationale Identität im Duett

Geistige Aufgaben der Zeit: Christina Weiss, Michael Schindhelm und der Glaube an die deutsche Kulturnation

Es wabert derzeit ein Wort durch die kulturellen Debatten: das Wort „Nation“. Die Kulturstaatsministerin Christina Weiss sagt es gerade ganz gern. Zuletzt bei der Eröffnung der Berliner Akademie der Künste, wo sie die „Arbeit an der Kulturnation“ als „geistige Aufgabe, die nie beendet ist“, bezeichnete. Und Michael Schindhelm, gerade auf den Chefposten über alle Berliner Opernhäuser berufen, hat am Donnerstag in der Welt geschrieben: „Die Wiedergeburt einer nationalen Identität, die die Geschichte nicht zu relativieren versucht, ist eine kulturelle Aufgabe.“ Zwei Zeilen weiter schrieb er weiter von der „Anerkennung unserer Nationalkultur“.

Kulturnation? Nationalkultur? Echt? Man kann sich schon fragen, was da oben, auf der Chefebene der Kulturpolitik, eigentlich los ist. Ehrlich gesagt dachte ich bislang, das Wort „Nation“ würden sie nur brauchen, um an der Kulturhoheit der Länder zu kratzen – als Marker, dass es jetzt nicht um die Interessen der einzelnen Bundesländer geht, sondern um die Bundesebene. Nur gehen die Töne in eine andere Richtung: Das Wort Nation wird substanziell aufgeladen.

Christina Weiss redet etwa davon, dass die Kultur „das emotional motivierende Gemeinschaftsbildende“ sei, „das die Summe aller regionalen Einheiten nationstauglich zu machen vermag“. Nationstauglich! Ein Wort, bei dem man unwillkürlich an Heinrich Manns „Untertan“ denkt. Wir wollen ja gar nicht erst fragen, ob etwa ein Fatih Akin auch zur Nationstauglichkeit beitragen soll (und wenn ja, welcher Nation). Schon die simple Frage, ob Frau Weiss wirklich meint, was sie da sagt, ist interessant. Na klar, unsere Nation ist inzwischen zum Glück einigermaßen normal geworden, aber doch gerade deswegen, weil und indem sie sich nicht mehr als Kulturnation versteht. Wenn man es ernst nimmt, steckt in dem Wort zu viel deutscher Sonderweg. Nimmt man es aber nicht ernst, sollte man damit auch keine Akademie eröffnen.

Bei Michael Schindhelm bekommt das Wort „Nation“ vollends ein merkwürdiges Tremolo. Nicht nur glaubt er mit dem Wort „Nationalkultur“ ein Gegenkonzept zum holpernden EU-Einigungsprozess in der Tasche zu haben. Wenigstens andeutungsweise hält er es zudem auch für fähig, die innerdeutsche Spaltung zwischen Ost und West zu überwinden. Seltsame Intellektuellenträume! Passt aber zu Christina Weiss’ Begriff der „Nationstauglichkeit“. Vielleicht können die beiden das Wort „Kulturnation“ ja bald mal im Duett singen? Ne, lieber doch nicht.

Eine Hoffnung bleibt. Vielleicht ist Frau Weiss ja nur der Erfolg des Schillerjahres zu Kopf gestiegen. Vielleicht hat sich Herr Schindhelm in der Vorbereitung auf sein Amt nur zu tief in die Geschichte von Richard Wagner – Wiedergeburt! – vergraben. Aber ganz sicher kann man sich dessen nicht mehr sein.

DIRK KNIPPHALS