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: Pferdebücher ohne und Antipferdebücher mit literarischem Anspruch

Literaturgeschichtlich betrachtet ist die Gattung Pferdebuch ja noch nicht sehr alt, aber man fragt sich trotzdem, ob es das eigentlich je gab: eine Zeit, in der Mädchen keine Pferdebücher gelesen haben? War bestimmt ’ne schöne Zeit. Pferdebücher, so meine Erfahrung von vor dreißig Jahren, werden für Mädchen mit pferdehirngroßen Hirnen geschrieben, was zum Glück aber reversibel ist. Hören Mädchen nämlich mit dem Lesen von Pferdebüchern auf, werden sie schnell wieder ganz normal und nett.

Das ist die gute Nachricht. Und die schlechte? Pferdebücher gibt es immer noch. Und wie vor dreißig Jahren messen ihre Autorinnen – gibt es eigentlich auch Männer, die Pferdebücher schreiben? – die literarische Qualität ihrer Romane an der Menge der Alliterationen, die hineinpassen. Und so kommt es zu ganz ausgeklügelten sprachlichen Kreationen: die Tierärztin heißt Tilly Tierlieb, das Pony Rocky Rastlos. Wenn man allerdings bedenkt, dass Kaninchen und Meerschweinchen einfach Schnuffi und Hops genannt werden, weiß man diese Namen plötzlich fast wieder zu schätzen.

Genug der Häme? Ist ja schon gut. Der Gerechtigkeit halber sei gesagt, dass Tierärztin Tilly Tierlieb eine Menge praktischer Ratschläge parat hat – „geprüft von der tierärztlichen Klinik Dr. Faulstroh & Dr. Eichhorn, Frankfurt am Main“. Von ihnen erfährt man, was Pferde essen, wie man sie striegelt und was ein „Aufsetzkopper“ ist (Koppen heißt das Rülpsen der Pferde nach übermäßigem Luftholen aus Langeweile). Oder wie man sich mit Pferden unterhält, wann man also die Ohren anlegen muss und wie man richtig auf Pferdisch schnaubt. Das ist durchaus interessant, nur leider keine Literatur.

Aber es gibt auch Autorinnen, die tatsächlich so etwas wie einen literarischen Anspruch haben. Bloß kein Pferdebuch!, müssen sie gedacht haben, als sie anfingen, eines zu schreiben. „Jennys Pferdesommer“ ist so ein Antipferdebuch. Es erzählt von einem Mädchen, das von den Eltern in den Sommerferien auf einem Pferdehof geparkt wird, obwohl es Pferde hasst. Und, alle Achtung, dies ist keine Bekehrungsstory – Jenny wird 150 Seiten lang wirklich kein einziges Mal ein Pferd besteigen. Dafür wird sie kochen und zeichnen lernen und die Pferde verstehen – ein Hauch Pferdeflüsterer für Teenies. Das ist nett erzählt, wenn auch etwas langatmig. Richtig witzig hingegen ist „Ein Pferd namens Milchmann“, auf seine Art auch ein Antipferdebuch: keine Mädchen, keine Reitstunden, keine Alliterationen. „Montagmorgen, ein Pferd taucht auf“ – so fängt das an. Das Pferd, ein Apfelschimmel, steht plötzlich im Reihenhausgarten, der damit ziemlich gut ausgefüllt ist. Und Herman – kann ein Junge heute so heißen? – denkt: Endlich passiert mal was im Wahnsinnsweg. Und das tut es auch: Milchmann äppelt aufs Parkett, beißt ein Loch in die Garage, trinkt Wasser aus der Salatschüssel, geht mit Herman zur Schule. Und plötzlich tauchen auch woanders in den Minigärten Pferde auf, die bei den Kindern in Garagen, Kellern und Gartenhäuschen leben. Erst merkt das niemand, aber dann blühen die sonst mickrigen Rosen in den Vorgärten plötzlich um die Wette, weil die Kinder sie heimlich mit den anfallenden Pferdeäppeln gedüngt haben. Gut bekommt die Pferdeinvasion auch den Kindern selbst. Und da dies ein Pferdebuch für Jungs ist, denken sie dabei nicht an Longe, Voltigieren und Reiterferien, sondern an Cowboys, Lagerfeuer und einen heißen Ritt über die Prärie.

ANGELIKA OHLAND

Margot Scheffeld: „Tierärztin Tilly Tierlieb: Pony Rocky“. Illustriert von Dorothea Tust. Baumhaus Verlag, Frankfurt am Main, 128 Seiten, 9,20 EuroNina Schindler: „Jennys Pferdesommer“. Mit Bildern von Kerstin Meyer. Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 154 Seiten, 11,50 Euro Hilke Rosenboom: „Ein Pferd namens Milchmann“. Mit Bildern von Anke Kuhl. Carlsen Verlag, Hamburg, 116 Seiten, 7,90 Euro