Teure Sprachbarriere

Flüchtlinge haben keinen Anspruch auf bezahlte Deutschkurse. Sie geben deswegen viel Geld für Dolmetscher aus. Vor allem Vietnamesen sind betroffen: Sie verfügen kaum über soziale Netzwerke, die ihnen bei der Integration helfen

Wer von Sozialgeld und Hartz-IV-Leistungen lebt, ist arm. Wer von Sozialgeld oder Hartz-IV-Leistungen lebt und schlecht Deutsch spricht, ist noch ärmer, denn ein guter Teil seines wenigen Geldes geht oft für Dolmetscherleistungen drauf – die Behörden kommen dafür nicht auf. Auf bezahlte Deutschkurse, die eine Unabhängigkeit von Übersetzern zur Folge hätten, haben Asylbewerber und geduldete Ausländer keinen Anspruch. Das trifft in Berlin nach taz-Recherchen vor allem Vietnamesen. Rund 10.000 Vietnamesen leben in der Stadt. Etwa jeder zehnte ist auf Sozialleistungen und Dolmetscher angewiesen.

Vietnamesische Frauen, die sich beim Verein Reistrommel in Lichtenberg treffen, berichten, dass sie jeden Monat allein 30 bis 50 Euro für die Begleitung durch einen Dolmetscher zum Sozialamt zahlen. „Weil die Beamten dort Fragen stellen, die ich nicht verstehe, bin ich ohne Dolmetscher hilflos. Die Alternative wäre, gar kein Sozialgeld zu bekommen“, erzählt die allein erziehende Mutter eines Babys.

Eine andere allein erziehende Mutter berichtet, sie zahle 50 Euro für die monatliche Begleitung durch einen nicht vereidigten Dolmetscher zum Sozialamt und noch einmal 50 Euro für die Begleitung zum Jugendamt, um Unterhaltsvorschuss und Erziehungsgeld zu bekommen. Der Mann ziehe sein Honorar gleich von ihren Sozialleistungen ab. Noch einmal 50 Euro musste sie einem Landsmann geben, der ihr half, ein Girokonto einzurichten. Eine gute Investition, denn jetzt kommen zumindest Kinder- und Erziehungsgeld aufs Konto – ganz ohne Übersetzungskosten. Eine dritte Frau erzählt: „Ich bin Diabetikerin und muss oft zum Arzt gehen, manchmal zweimal pro Tag. Dort brauche ich unbedingt einen Dolmetscher. Für ihn zahle ich jedes Mal 30 Euro.“

Von Ausnahmen abgesehen, sind diese Gebühren übliche Tarife für Dolmetscher und Übersetzer. Kostenlose Begleitangebote zu Behörden kennt keine der drei Frauen. Das ist bei anderen Nationalitäten anders. Der Verein Südosteuropa Kultur, der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien betreut, hat genau für diese kostenlose Behördenbegleitung 1-Euro-Jobber beantragt. Türkische Migranten fänden in Berlin eine umfangreiche türkische Infrastruktur und soziale Netzwerke der Familien vor, sagt Kenan Kolat vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg. „Viele Ärzte, Anwälte und auch Sekretärinnen in Behörden sprechen Türkisch.“

Und russischsprachige Zuwanderer können sich durch Sozialarbeiter beim Verein Dialog zu wichtigen Terminen begleiten lassen. Das ist zwar nicht kostenlos, aber der Verein erhebt lediglich Gebühren zwischen 3 und 5 Euro. Lydia Stark von Dialog beschreibt auch eine völlig andere Situation der russischsprachigen Zuwanderer: „Die Mehrheit sind Spätaussiedler und jüdische Kontingenzflüchtlinge und haben bezahlte Deutschkurse besucht.“

Für vietnamesische Migranten lehnt der Verein Reistrommel Begleitangebote durch 1-Euro-Jobber ab. Tamara Hentschel: „Vor Jahren hatten wir solche Angebote durch ABM-Kräfte. Leider mussten wir feststellen, dass unsere ABM-Mitarbeiter von ihren Klienten zusätzlich zu ihrem Gehalt illegale Gebühren kassierten.“ In Vietnam ist diese Mentalität verbreitet. Der Verein fühle sich auch in Deutschland machtlos dagegen.

Die Alternative wären Feststellen für Dolmetscher. Doch wenn sich vietnamesische Migranten verschulden, um das Geld für die Dolmetscher aufzubringen, seien sie für kriminelle Strukturen anfällig, weiß Tamara Hentschel. „Viele gehen Zigaretten verkaufen, klauen oder dealen, weil ihr Geld sonst nicht zum Lebensunterhalt reicht.“

Der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening gesteht ein, dass in einer Stadt mit 180 Nationalitäten Dolmetschen ein ungelöstes Problem ist. „Es ist absolut unbefriedigend, dass Flüchtlinge keinen Anspruch auf Integration und Sprachförderung haben.“ Darüber hinaus sieht Piening aber auch ein spezifisches vietnamesisches Problem. „In der vietnamesischen Gemeinde funktionieren soziale Netzwerke offenbar weniger als bei vielen anderen Nationalitäten.“ MARINA MAI