Das kleine Wunder Stille

Überraschung: Bei einer Vorführung der jüdischen Komödie „Alles auf Zucker!“ für die Schüler der Jüdischen Oberschule wurde es zum Filmbeginn erstaunlich leise. Schade nur, dass hinterher Regisseur Dani Levy Nachhilfe gab

Schon schön, dass dann doch alles ganz normal ist. So normal eben, wie es zugehen kann, wenn eine Schule vor den Sommerferien fast geschlossen vormittags ins Kino geht: Pubertierende Jungs, die entweder mit rundem Rücken über ihrem Handy-Computerspiel hängen oder übereifrig durch den Saal 1 des Filmtheaters in den Hackeschen Höfen brüllen: „Ey Oleg, komm her! Ich hab dir hier extra ’nen Platz freigehalten.“ Hinter mir kündigt einer seinen Kumpels an: „Ey, ich hör auf jeden Fall gleich Musik. Ich guck den Film und hör dazu Musik.“ Und die Mädchen? Die trauen sich entweder nicht mal, die Jungs überhaupt anzugucken, oder sie senden ihnen beiläufig wirkende Blicke voller Mitleid.

Warum das schön sein soll? Weil der X-Verleih in der Einladung zu dieser Schulvorstellung von Dani Levys jüdischer Komödie „Alles auf Zucker!“ darum bat, „von einer Ankündigung des Termins im Vorfeld abzusehen“. Diese Bitte war fett unterstrichen. Nicht ohne Grund, wenn man die Sicherheitsvorkehrungen an ihrer Schule, der Jüdischen Oberschule Berlin, kennt: hoher Metallzaun, Sicherheitsschleuse, Polizisten und Wachleute mit dunklen Sonnenbrillen. Angesichts ihrer beunruhigend anormalen Lernumgebung strahlt der gnadenlose Gleichmacher Pubertät eine beruhigende Normalität aus.

Als der Film beginnt, habe ich die Hoffnung längst aufgegeben, irgendwas zu verstehen. Macht nichts, denk ich mir, dann belausche ich eben die Gespräche um mich rum. Zu dumm nur, dass meine direkten Sitznachbarinnen hebräisch sprechen – und ich nicht. Doch dann geschieht ein kleines Wunder: Stille. Das Warner-Brothers-Logo erscheint auf der Leinwand. Die Jungs hinter mir horchen auf, vielleicht wird’s ja doch noch spannend. Ziemlich schnell wird ihnen aber klar, dass die einzigen Explosionen, die sie von „Alles auf Zucker!“ zu erwarten haben, Lacher sind – immerhin. Eine kleine Auswahl: „Wahrscheinlich sieht er aus wie Ussama Bin Laden“ – Protagonist Jacky Zucker über seinen orthodoxen Bruder. „Ihr Juden habt so viele Gebote, da ist gar kein Platz zum Improvisieren“ – Jackys nichtjüdische Ehefrau, die plötzlich koscher leben soll. „Du bist Onkel Ajatollah?“ – Jackys Enkelin zu dessen orthodoxem Bruder. „Seit der Wende hat er nur noch Pech gehabt. Jetzt soll er auch noch Jude sein“ – Jackys Ostberliner Nachbarn.

Was Regisseur Dani Levy im Film gelingt, mit Klischees, hier deutsch-deutschen und deutsch-jüdischen, einfühlsam und souverän zu spielen, misslingt ihm in der anschließenden Diskussion, in der er vergeblich versucht, den Schülern auf Augenhöhe zu begegnen. „Wenn ihr Ideen habt, schreibt sie auf. Schreiben ist etwas ganz Tolles. Schreibt, schreibt, schreibt!“, sagt er.

Den Jugendlichen sind Dani Levys onkelhafte Appelle und Ausführungen egal, sie diskutieren nicht, sondern fragen, was sie schon immer mal von einem Regisseur wissen wollten: Wie viel verdienen Sie? Haben Sie noch andere Filme gemacht? Kann ich mal in einem Film mitspielen? Levy duzt zurück und lobt die „erbarmungslosen Fragen“, beantwortet sie aber nicht, „ich krieg ein ganz normales Gehalt, das auch nichts anderes ist als ein Lehrergehalt“. Und: „Sicher könnt ihr mal mitspielen. Da müsst ihr aber auch kommen und könnt nicht einfach zu Hause im Bett liegen bleiben.“ Als zwei Mädchen hinterher Nägel mit Köpfen machen wollen, wirkt er kurz irritiert und schickt sie dann zur Frau vom Verleih. Thomas Schaaf, der Mathe-, Sozialkunde- und Geschichtslehrer, der mit seinem Kollegen Harald Kügler, Musik und Politik, die Schulvorstellung organisiert hat, freut sich derweil darüber, dass Levy sich überhaupt dazu bereit erklärt hat, seinen Schülern Rede und Antwort zu stehen, „so was würde ja auch nicht jeder machen“. Gut so. DAVID DENK