Linke unter Mordverdacht

In Brandenburg steigt die Gewaltbereitschaft bei Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken. Jetzt wurden in Potsdam vier Antifas nach einem Angriff auf einen Neonazi verhaftet

von FELIX LEE

Der Prozess um die grausame Vergewaltigung des 17-jährigen Gunnar durch drei Rechtsextremisten in Frankfurt (Oder) muss noch verkraftet werden, da erreicht die Brandenburger bereits die nächste Horrormeldung: Nun sind es vier Linke, die wegen Mordversuchs verhaftet wurden.

Wie erst am Mittwoch bekannt wurde, haben angeblich vier Jugendliche aus der linken Szene in der Nacht zum Sonntag einen in Potsdam allgemein bekannten Neonazi mit einem Schlagstock auf den Kopf geschlagen und anschließend brutal mit Füßen getreten. So zumindest wurde es den Potsdamer Neuesten Nachrichten berichtet. Gäste eines Cafés hätten den Vorfall beobachtet und vier der insgesamt fünf vermeintlichen Täter bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten. Zwei der Verdächtigen sitzen seitdem in Untersuchungshaft, bei den anderen beiden konnten die Haftbefehle gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt werden.

Zwar handelte es sich „nur“ um eine ambulante Behandlung, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der taz. Trotzdem werde nun wegen versuchten Mordes ermittelt, da die Täter dem Opfer mehrfach gezielt mit einem Teleskopstock auf den Kopf geschlagen hätten – einer Waffe, die auch als „Totschläger“ bezeichnet wird.

Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff, der einen der vier mutmaßlichen Täter verteidigt, bestreitet, dass sein Mandant an der Tat beteiligt gewesen war. Er vermutet, dass die Falschen verhaftet worden sind. Zudem wies er den Vorwurf, dass es sich um „versuchten Mord“ handele, vehement zurück. Das Opfer habe bei dem Überfall eine Platzwunde am Kopf erlitten und Schürfwunden. So unschön die Geschehnisse sind, sagte Klinggräff, „auch der Staatsanwalt weiß, dass Schläge mit einem harten Gegenstand nicht automatisch einen Tötungsvorsatz darstellen“. Er vermutet, dass mit „brachialer Gewalt“ versucht werde, „Aussagedruck“ auf die vier Betroffenen auszuüben.

Als Motiv gehen die Ermittler von einem „Racheakt“ aus. Sie stellen die Tat in Zusammenhang mit einem Gerichtsprozess, der vor einer Woche zu Ende ging. In der Neujahrsnacht 2003 hatten Rechtsradikale das linke Jugendzentrum „Chamäleon“ angezündet und die Anwesenden mit Böllern beworfen. Während der Gerichtsverhandlungen war es zu Handgreiflichkeiten zwischen Neonazis und Linken gekommen. Zwei der angeklagten Neonazis wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, ein Racheakt von linker Seite ist insofern nicht ganz plausibel.

Besorgniserregend ist die zunehmende Bereitschaft besonders in Brandenburg, Konflikte zwischen Rechten und Linken mit einer bisher kaum gekannten Brutalität auszutragen. Inzwischen sorgt sich selbst Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Gewalt könne und dürfe in einer demokratischen Gesellschaft kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, sagte der Innenminister. Auch vor dem Prozess gegen Neonazis, die in Frankfurt (Oder) ihr Opfer fast zu Tode vergewaltigt hatten, war Brandenburg in den vergangenen Jahren wegen rechtsextrem motivierter Folterorgien immer wieder in die Schlagzeilen geraten.