Keine Zeit für unsterbliche Taten

Jürgen Busche sucht nach den Helden des Ersten Weltkrieges. Und er findet sie auch. Seine „Heldenprüfung“ hat nur einen Fehler: Sie missachtet souverän die historische Forschung

Jürgen Busche ist ein kriegskundiger Journalist. Bereits vor rund 30 Jahren beschäftigte er sich in seiner althistorischen Dissertation mit Schlachten. Die Leidenschaft dafür ist ihm geblieben, denn jetzt legt er unter dem Titel „Heldenprüfung“ ein Buch vor, das dem „verweigerten Erbe des Ersten Weltkriegs“ gewidmet ist.

Was bedeutet Heldentum, und was meint das Erbe des Ersten Weltkriegs? Busche zitiert eingangs eine brauchbare Definition von Jacob Grimm aus dem Jahre 1844: Ein Held ist demnach „ein Mensch, der gegen das Böse streitend unsterbliche Taten verrichtet und zu göttlicher Ehre gelangt“. Es ist offensichtlich, dass sich diese Definition an Verhältnissen orientiert, die sich von denen moderner Gesellschaften und moderner Kriege radikal unterscheiden. Weder mit der Horaz’schen Phrase vom „süßen Sterben fürs Vaterland“ noch mit dem Kampf gegen „das Böse“ oder dem Gewinn „göttlicher Ehre“ haben moderne Kriege auch nur das Geringste zu tun.

Wie soll es da noch Helden geben? Heutige Soldaten und auch die im Ersten Weltkrieg können unter Umständen über individuelle Tapferkeit verfügen, aber keine „unsterblichen Taten“ auf eigenes Risiko und eigene Verantwortung verüben. Sie sind eingespannt in eine Kriegsmaschinerie, in der sie als Rädchen mehr oder weniger funktional agieren. Soldaten sind zu bloßen Mitläufern und Komplizen der Macht geworden. Unter den Bedingungen von Aufklärung und Moderne existiert Heldentum nur noch in Landserheftchen und schlechten Filmen.

Tapferkeit ist eine individuelle intellektuelle und physische Handlungsdisposition „nach dem Maß des Menschen“, wie Aristoteles meinte. Heldentum dagegen ist geknüpft an überindividuelle politisch-religiöse oder mythologische Kontexte. Max Weber, der zu Beginn des Kriegs noch trunken war vom wilhelminisch geprägten Hurra-Helden- und Kriegertum, korrigierte sich nach zwei Kriegsjahren und beschäftigte sich mit der Frage, wie politische Eliten beschaffen sein müssen, die Kriege verantworten können.

Gleich am ersten Helden, den Busche präsentiert, wird das Anachronistische seiner Heldenprüfung einsichtig. Der deutsche U-Boot-Kommandant Otto Weddigen versenkte am 22. September 1914 drei englische Schiffe, schickte 1.600 Menschen in den Tod und sagte seinen Soldaten: „Wir können uns freuen.“ Ein Held? Der U-Boot-Krieg im Ersten Weltkrieg wurde auf deutscher wie auf englischer Seite teilweise völkerrechtswidrig, teilweise im rechtsfreien Raum geführt. Nach dem Urteil des Marinehistorikers Frank P. Chambers waren „Deutschlands Vergehen auf hoher See verbrecherischer und spektakulärer als diejenigen Englands“.

Das verweist auf einen Konstruktionsfehler in Busches Buch. In souveräner Missachtung der gesamten ernst zu nehmenden historischen Forschung spricht er noch vom „Verteidigungskrieg“ Deutschlands gegen England. Der Kriegspolitik des Kaiserreichs im Allgemeinen wie dem Schlachtflotten- Bauplan von Großadmiral Alfred von Tirpitz im Besonderen lag die strategische Idee zugrunde, die Vorherrschaft Englands und insbesondere diejenige seiner Flotte zu brechen. Tirpitz sprach entlarvend vom „Eventualpräventivkrieg“.

Busche meint, „einiges im Ersten Weltkrieg“ sei misslungen, „weil es den Verantwortlichen an Heldenmut“ gefehlt habe. Derlei vertreten seit der Weimarer Republik nur noch Kriegsveteranen in ihrer „apologetischen Erinnerungsliteratur“ (Wolfram Wette). Aus dieser stammt auch Busches Vermutung, die deutschen Kriegshelden seien vergessen worden, weil sie den Krieg verloren hätten oder weil „die schlechte historische Bildung“ das so gewollt habe. In dieselbe Preislage fällt Busches Klage, in Deutschland „fehle ein Ethos des Krieges“.

Die deutschen Eliten führten den Ersten Weltkrieg von Anfang an als „gigantisches Vabanquespiel“ (Christoph Cornelissen), denn der modifizierte Schlieffenplan war nicht nur völlig illusorisch, sondern schlicht verbrecherisch – in dem er den Bruch der belgischen Neutralität einkalkulierte. Das provozierte England und führte zu seinem schnellen Eingreifen auf dem Kontinent. In der „Knochenmühle“ (Generalstabschef Falkenhayn) des Stellungskrieges, im Gaskrieg und im U-Boot-Krieg wurden in den folgenden drei Jahren hunderttausende von Soldaten getötet. So viel zum „Erbe“.

Busches Helden waren keine, weil sie gesinnungsstark, aber besinnungslos ausführten, was ihnen befohlen wurde. An Ernst Jünger ließe sich das trefflich zeigen, aber für Busche sind die „Stahlgewitter“ ein „Erlebnisbericht“, obwohl er auf die seltsamen Praktiken Jüngers bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Texte hinweist. Zwanzig Jahre nach dem Krieg und zehn Jahre nach dem ersten Erscheinen des Textes schrieb Jünger 1935: „Gestern habe ich die Bearbeitung des ‚Wäldchens 125‘ abgeschlossen … Ich habe auf diese Weise den ersten Teil des Jahres damit zugebracht, meine Autorschaft nach rückwärts auszubauen.“ Kurz: Er tilgte die wüstesten nationalistischen, blutrünstigen und antisemitischen Ausfälle. Man könnte dieses aparte Verfahren auch „Leitfaden der Unaufrichtigkeit“ nennen – ein Wort, mit dem Peter de Mendelssohn Jüngers wabbernde „Marmorklippen“ umschrieb. Für Busche wandelte sich Jünger dagegen nach 1923 vom „Helden“ zum „Zivilisten“.

In weiteren Kapiteln erzählt Busche die Geschichten des jungen Erwin Rommel im Gebirgskrieg, des Fliegers Ernst Udet und des U-Boot-Kommandanten Franz von Hipper, dessen „nur durchschnittliche operative Begabung und Führungskraft“ (Holger H.Herwig) in der Skagerrak-Seeschlacht (31. 5. 1916) Busche weit über- und dessen wahres Verdienst er unterschätzt: Als die Matrosen 1918 rebellierten, richtete er kein Blutbad an, sondern verabschiedete sich in den Ruhestand und schwieg im Unterschied zum „genialen“ (Busche) Ludendorff.

Busches Buch kommt ohne Fußnoten und Belege aus, sodass viele Zahlen und Behauptungen nicht überprüfbar sind. Vor allem aber pflegt er Geschichtsschreibung im Stil ganz alter Lateinlehrer und legt dar, was „die Deutschen … gebraucht hätten“, um doch noch zu gewinnen: „Man hätte alles auf eine Karte setzen müssen.“ Nur: Die im Sinne Max Webers verantwortungslose politische und militärische Führung hatte bereits im Juli 1914 mit ihrem Entschluss zum Blitzkrieg alles auf eine Karte gesetzt. RUDOLF WALTHER

Jürgen Busche: „Heldenprüfung. Das verweigerte Erbe des Ersten Weltkriegs“. München 2005, DVA, 196 Seiten, 18,90 Euro