Wider den Wertverfall

Morgen marschieren erneut Neonazis gegen „pädophile Umtriebe“. Grund dafür sind auch interne Streitigkeiten. Breites Bündnis ruft zum Protest auf

von Andreas Speit

„Solidarisieren auch Sie sich mit unserem Protest gegen pädophile Umtriebe“, bitten die „Freien Kameradschaften“ im Internet. Gegen ihren Aufmarsch unter der Parole „Kein Forum für Pädophile“, den der Hamburger Neonaziführer Christian Worch für morgen in Eidelstedt angemeldet hat, formiert sich aber breiter Widerstand: ein örtliches Bündnis von Parteien, Kinder- und Jugendeinrichtungen, der türkischen Gemeinde, des Stadtteilbeirats und der Kirchen.

Seit Anfang Juni bemühen sich die Rechten mit Flugblattverteilungen und einer so genannten Mahnwache, im Stadtteil Sorgen und Ängste vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder anzusprechen, wie sie sie in der „Mitte der Gesellschaft“ vermuten. Direkt richten sich ihre Aktionen gegen Frank Freitag, Betreiber des Internetportals „seventeen6“, und Dieter Gieseking, den wegen Pornographievertriebs verurteilten ehemaligen Vorsitzenden des Pädophilenvereins „Krumme 13“.

Als die Neonazis in dieser Sache bereits am 17. Juni eine Mahnwache durchführten, stießen sie auf spontane Gegenwehr: Mehr als 300 AnwohnerInnen protestierten gegen etwa 40 Rechte. „Wir waren davon ausgegangen, dass die Veranstaltung nicht groß zur Kenntnis genommen würde“, sagte später ein Polizeisprecher. Eiligst hatte die Polizei die Landesreserve anrücken lassen, bei deren Einsatz ein Beamter einen 20-Jährigen misshandelte (taz berichtete).

Die Mahnwache, die der Norderstedter Neonazi Tobias Thiessen vom „Aktionsbüro Nord“ zu verantworten hatte, verstimmte aber auch Worch. Der ärgert sich schon seit Monaten über die Strategie des „Aktionsbüros“, vor Ort immer wieder kleine Aktionen zu veranstalten und enge Kontakte zur NPD zu suchen. So schimpft Worch nun über das „unkoordinierte Vorpreschen“ und unterstellt „persönliche Rivalitäten“. Schließlich hatte er – und nicht Thiessen – seine Aktion zuerst angekündigt.

Gegen „Kinderschänder“ und „sexuellen Missbrauch“ – und deren vermeintliche Ursachen, den „sittlichen, kulturellen“ Wertverfall – führen die Neonazis aber bereits seit etlichen Jahren Kampagnen durch. Schon im Februar 2002 marschierten sie gegen die „Krumme 13“ auf. Mit ihren unveränderten Forderungen – „Kinderschänder gehören nicht in den Knast oder in die Psychiatrie, sondern auf den elektrischen Stuhl“ – sollen Stimmungen aufgegriffen werden.

Verschwiegen werden dagegen sexuelle Übergriffe älterer Neonazis auf jüngere Kameraden, von denen Aussteiger berichten. Indes sammeln die Rechten nicht nur Unterschriften oder verteilen Flugblätter gegen „Kinderschänder“: Am 1. Mai überfielen und folterten acht Männer und Frauen in Berlin einen 40-Jährigen, den sie für einen „Kinderschänder“ hielten. „Rechts ist geil“ sei ihre Devise, befand die Staatsanwaltschaft, die Anklage erhoben hat.

In Harburg hat nun die NPD ebenfalls für Sonnabend einen „Infostand“ angemeldet – wohl in der Hoffnung, durch diese Terminüberschneidung auf wenig Gegenprotest zu stoßen.

Antifa-Kundgebung: Sa, 11.30 Uhr, Eidelstedter Marktplatz