Misere im Hinterland

Coming of Age auf Usedom: Till Endemanns Film „Das Lächeln der Tiefseefische“

Ausnahmezustand oder verkehrte Verhältnisse? Ziemlich zu Beginn von Till Endemanns Film „Das Lächeln der Tiefseefische“ legt Malte seinen reichlich beschwipsten Vater ins Bett und deckt ihn fürsorglich zu. Diese rührende Geste konnte man in diesem Jahr schon einmal sehen. In der sympathischen Verliererkomödie „Netto“ bringt ein Halbwüchsiger den Vater nicht nur ins Bett, sondern erklärt dem verkaterten Alten am nächsten Morgen auch noch, wie der sich beim Bewerbungsgespräch zu verkaufen hat.

Vielleicht haben wir es hier tatsächlich mit symptomatischen Gesten und Szenen, mit den Wiedererkennungseffekten unserer Zeit zu tun. „Netto“ spielt in Prenzlauer Berg, Endemanns Film auf Usedom. Beide Male geht es um Väter, die nach der Wende den Anschluss verloren haben und immer noch den alten, sicheren Zeiten nachhängen, während ihre Sprösslinge mit beiden Beinen in der Gegenwart stehen. Dabei könnte der Sommer auf Usedom so schön sein, bringt er doch Malte einen Ferienjob in der Fischräucherei am Strand ein. Am Grill lässt sich nicht nur die schöne Aussicht aufs Meer genießen, sondern auch der beim Baden begonnene Flirt mit der hübschen Urlauberin Annika fortsetzen.

Doch geht das Geld nicht in die eigene Tasche, sondern in den gemeinsamen Haushalt mit Vater Dietmar. Um von den schizophrenen Zuständen auf Usedom zu erzählen, braucht Till Endemann nur eine Fahrradfahrt. Er folgt seinem Helden von den gestylten Villen am Meer ins Hinterland – dorthin, wo die Häuser verfallen und mit ihnen die Familienverhältnisse.

In diesen einfachen, aber durchaus wirksamen Beobachtungen liegt die Stärke von „Das Lächeln der Tiefseefische“. Immer, wenn der Regisseur einfach mitgeht, schaut und zuhört, fühlt man sich seinen Figuren am nächsten. Etwa wenn Malte mit seinem Freund Pavel beim Bademeistern herumalbert und der Job zur Kontaktbörse wird. Oder wenn er mit Annika nachts am Steg entlang spaziert und die beiden die Zukunft besprechen. Dann scheint es keinen Platz mehr für romantische Visionen zu geben. Annika wird nach den Ferien eine Lehre als Verkehrskauffrau antreten, und Malte will eigentlich nur weg. Vielleicht hätte Endemann einfach noch mehr solcher Stimmungen und Situationen einfangen sollen. Doch leider muss er uns die Misere doppelt und dreifach erklären. Da kommt die große Schwester aus dem Westen wieder nach Hause, weil es auch dort nichts zu holen gibt. Da nimmt die Trinkerei des Vaters dramatische Ausmaße an, da muss Malte seine ganze Wut und Verzweiflung in grellbunten Graffiti voller Ungeheuer ausdrücken. Ein Kamerablick auf sein Stirnrunzeln hätte gereicht.

Trotz dieses Hangs zum Auserzählen gelingt „Das Lächeln der Tiefseefische“ ein schöner Balanceakt. Die wenig aussichtsreiche Zukunft von Endemanns Helden wird sich nicht bleischwer über die Bilder legen. Wenigstens für diese eine Woche im Sommer gönnt er Annika und Malte noch einmal eine kurze und doch nicht enden wollende Auszeit. ANKE LEWEKE

„Das Lächeln der Tiefseefische“, Regie: Till Endemann. Mit Jacob Matschenz, Alice Dwyer u. a., Deutschland 2005, 88 Min.