„Eine Jury wäre ängstlicher“

Heute Abend wird in Berlin der Deutsche Filmpreis verliehen – zum ersten Mal von der Deutschen Filmakademie. Ein Gespräch mit dem Präsidenten der Akademie, dem Produzenten Günter Rohrbach

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Herr Rohrbach, was erwarten Sie sich vom heutigen Abend?

Günter Rohrbach: Dass er allen Spaß macht – in dem Sinne, dass sich alle wohl fühlen und spüren, es werden die richtigen Filme ausgezeichnet. Und dass die Preisträger dies in einer klareren Weise als Auszeichnung empfinden, als es früher der Fall war.

Warum?

Es macht einen Unterschied, ob eine Jury eine Auszeichnung verleiht oder ob dies eine große Gemeinschaft von Leuten tut, die selbst in der Branche tätig sind. Denn diese Leute üben denselben Beruf aus und wissen, was ein guter Schnitt, eine gute Kameraführung oder eine Ausstattung ist. Wer jetzt ausgezeichnet wird, weiß: Hinter diesem Preis stehen meine Kollegen, die mir auf die Finger beziehungsweise aufs Bild geschaut haben.

Hat niemand Angst vor Konkurrenz? Vor taktischen Entscheidungen?

Dafür ist die Anzahl der Beteiligten zu groß. Wäre sie zu klein, könnte die Befürchtung berechtigt sein. Vielleicht könnte man dann tatsächlich demjenigen, den man nicht mag, durch taktisches Verhalten die Auszeichnung entziehen oder umgekehrt denjenigen, den man persönlich mag, begünstigen.

Dass die Filmakademie die Vergabe des Deutschen Filmpreises besorgt, ist scharf kritisiert worden. Sie haben darauf vor einem Jahr mit einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung reagiert. Darin warfen Sie den Kritikern Voreingenommenheit vor. Was hat Sie gestört?

Voreingenommenheit herrschte in großem Umfang. Es wurde spekuliert: Eine solche Akademie würde sich in die eigene Tasche wirtschaften und bestimmte Personen begünstigen. Es würden Filme ausgezeichnet, die ohnehin die große Bühne haben, der Mainstream. Und die kleineren Filme würden übersehen. Was mich besonders ärgerte, war der Satz, die Akademie sei in Münchner Klüngelrunden entstanden. Von denen weiß ich nichts, obwohl ich in München lebe.

Es bleibt ein zentraler Kritikpunkt: Knapp 3 Millionen Euro Steuergelder, die als kulturelle Filmförderung gedacht sind, werden nicht mehr durch eine vom Ministerium bestellte Jury vergeben, sondern von der Branche an sich selbst.

Auch in anderen Zusammenhängen könnte man sich neue Formen der Auswahl vorstellen. Wenn zum Beispiel für eine pharmazeutische Entwicklung Forschungsgelder vergeben werden, dann wären doch die in dieser Forschung Tätigen die besten Leute, um kompetent zu entscheiden, wohin das Geld gehen soll. Natürlich würden dabei Interessenkollisionen entstehen. Doch die würden ausgeglichen, sobald die Zahl groß genug ist. Wenn 600 oder 1.000 Institute abstimmten, wen sie am interessantesten und innovativsten finden, würde vermutlich ein sehr viel besseres Urteil herauskommen, als es jede unabhängige Jury fällen könnte.

Trotzdem bleibt das Problem, dass öffentliche Gelder der Filmbranche, also der Privatwirtschaft, mehr oder minder umstandslos zur Verfügung gestellt werden.

Ich kann das so nicht sehen, und die Politik hat das auch nicht so gesehen. Natürlich hat Frau Weiss sehr genau auf unsere Nominierungen geschaut, genauso wie die Politiker im Kulturausschuss. Hätten sie das Gefühl, etwas laufe schief, dann würden die sicher sehr schnell die Notbremse ziehen. Und wenn ich mir anschaue, welche Filme nominiert sind, dann weiß ich, dass eine Jury in diesem oder jenem Punkt anders entschieden hätte – und zwar, weil eine Jury ängstlicher an die Sache herangegangen wäre, als es die Mitglieder der Akademie getan haben.

Die Zusammensetzung der Akademie ist wenig repräsentativ. Senta Berger selbst sagte kürzlich in einem Interview, dass zu wenig Filmschaffende aus Ostdeutschland vertreten seien. Und Regisseure wie Christian Petzold, Angela Schanelec, Ulrich Köhler oder Christoph Hochhäusler gehören gar nicht erst dazu, obwohl sie für ein ästhetisch aufregendes Kino stehen.

In der Tat sind die ostdeutschen Filmemacher nicht ausreichend vertreten. Wir haben uns um viele von ihnen bemüht, ihnen Briefe geschrieben. Die Reaktionen waren enttäuschend, aus welchen Gründen auch immer. Die neue Welle, die Gruppe rund um Christian Petzold, ist deshalb nicht vertreten, weil sie es nicht wollen. Sie haben ja in einer beachtlichen Aktion Unterschriften gegen die Akademie gesammelt und die ohnehin skeptische Presse auf ihre Seite gezogen. Ich kenne Petzolds Kritikpunkte.

Haben Sie sich mal mit ihm zusammengesetzt, um diese Kritik zu diskutieren?

Wir haben geredet, aber wenn sie nicht mitmachen wollen, kann man sie nicht zwingen. Ich denke, das wird sich ändern. Maren Ade, die jetzt nominiert ist, wurde eingeladen, Mitglied der Akademie zu werden. Sie hat sich noch nicht entschieden. Sie befindet sich vermutlich in einem Gruppenkonflikt.

Bedauern Sie das?

Ich bedauere es außerordentlich. Leute wie Christoph Hochhäusler oder Benjamin Heisenberg – Petzold sowieso – gehören natürlich auch in die Akademie. Das würde auch das Gesamtbild der Akademie anders strukturieren.

Am 10. Juli wird in Ludwigshafen der Deutsche Filmkunstpreis vergeben, der sich als Gegenentwurf zum Deutschen Filmpreis verstehen lässt. Beschäftigt Sie das?

Ich weiß davon gar nichts. Das tut mir leid, denn es klingt arrogant, aber ich habe nichts davon mitbekommen. Es stört mich natürlich nicht. Wie viele Literaturpreise gibt es, wie viele Preise in anderen Bereichen der Kunst!

In der letzten Runde des Auswahlverfahrens sehen alle Mitglieder der Akademie alle nominierten Filme. Mir kam nun von einem Mitglied der Akademie zu Ohren, es gebe Empfehlungen in der Nominiertenliste. Ist das so?

Es gibt nur die Nominierungen. Wie soll es darüber hinaus eine Art von Empfehlung geben? Nein, um Gottes willen. Natürlich gibt es Leute, die es nicht schaffen, alle Filme zu sehen, zum Beispiel Schauspieler, die so beschäftigt sind, dass sie einfach nicht dazu kommen. Dann ist es natürlich besser, sie wählen gar nicht, ehe sie irgendwelche Kreuze machen. Ich spüre aber vor allem Neugier und Eifer. Die Mitglieder sagen: „Ich muss unbedingt noch diesen und jenen Film gucken.“ Das gab es früher nicht. Maren Ades Film „Der Wald vor lauter Bäumen“ hatte im Kino etwa 20.000 Besucher, aber er hätte ohne die Nominierung die Branche nicht durchdrungen. Das hat er jetzt getan. Und das ist für eine junge Regisseurin etwas Tolles.