Zusatzstoffe statt Pillen

Zunehmend werden Lebensmittel mit angeblich gesundheitsfördernden Mikroorganismen, Vitaminen oder anderen biologisch aktiven Substanzen aufgepäppelt. Doch nicht alles, was als „gesund“ beworben wird, ist auch bekömmlich

Cornflakes dürfen in Schweden nur ohne Eisenzusatz verkauft werden

VON KATHRIN BURGER

Schokolade ohne Reue genießen – Bonner Lebensmitteltechnologen machen es möglich. Sie haben spezielle Milchsäurebakterien geschmacksneutral in Mikrokapseln verpackt. So könnte man die „Probiotika in die Schokoladenrezeptur mischen und als gesunde Nascherei verkaufen. Denn Probiotika sollen die Darmflora positiv beeinflussen. Der deutsche Verbraucher kennt sie seit 1995 als Zusatz in Joghurts. Die Superbakterien sollen zudem Durchfall kurieren, Immunzellen stimulieren, Lebensmittelallergien bei Kindern lindern und vor Krebs schützen.

Tatsächlich zeigen probiotische Bakterien Effekte auf Darm und Immunsystem. „Diese stellen aber für sich genommen noch keinen gesundheitlichen Nutzen dar“, schreiben die Autoren des Ernährungsberichts 2004. Vielmehr können die Bakterien bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem auch die Darmflora schädigen.

Doch von solchen Risiken weiß der Verbraucher meist nichts. Und in vielen Fällen hat auch die Wissenschaft keine Ahnung, welche Risiken „Functional Food“, also Lebensmittel mit Zusatznutzen, bergen. Dazu fehlen groß angelegte Studien.

Kleine Firmen können sich eine teure Gesundheitsforschung nicht leisten. Und die Großen – Nestlé, Unilever sowie Danone – unterhalten zwar riesige Forschungsinstitute, aber nur Unilever hat für sein Produkt „pro-activ“-Margarine eine Studie vorzuweisen. Demnach haben Menschen mit hohem Cholesterinspiegel, die sich die Phytosterin-Margarine aufs Brot schmieren, nach einiger Zeit um 15 Prozent verringerte Cholesterinwerte. Denn Phytosterin verhindert, dass Cholesterin vom Dünndarm ins Blut gelangt.

Die Kehrseite: Phytosterine blockieren die Aufnahme von Vitamin E und Beta-Carotin – teilweise um bis zu 50 Prozent. „Unklar ist auch, inwieweit die Phytosterine fettreduzierende Medikamente beeinflussen“, gibt der emeritierte Ernährungswissenschaftler Helmut Erbersdobler zu bedenken. Und: Forscher entdeckten, dass Menschen mit hohen Phytosterin-Werten im Blut ein erhöhtes Risiko für Herzkrankheiten haben. Es gelangen zwar nur etwa 5 Prozent des Phytosterins ins Blut. Allerdings steigt dieser Prozentsatz je mehr Phytosterine man mit dem Essen aufnimmt.

Auch die Anreicherung mit Vitaminen sehen Wissenschaftler kritisch. Erstens seien leichte Nährstoffdefizite in der Bevölkerung durch normale Lebensmittel schnell behoben. Zweitens dienten die Gesundstoffe in Kinderlebensmitteln meist dazu, ein Übermaß an Zucker zu verschleiern, urteilten Öko-Test-Experten im Sommer 2004. Ob ein Zuviel an Vitaminen bei Kindern sogar schädlich sein kann, ist unklar. Studien mit Erwachsenen zu den Vitaminen A, C und E waren jedenfalls ernüchternd: keine Hilfe gegen Herzinfarkt oder Krebs. Dafür belegten einige Studien sogar leicht erhöhte Sterblichkeitsraten nach langjähriger Vitamindiät. Umstritten ist auch der Zusatz von Spurenelementen wie etwa Eisen.

„Viele Frauen leiden beispielsweise an Eisenmangel, bei Männern und Kindern kann eine Überversorgung langfristig aber zu Schädigungen führen“, so Erbersdobler. Die schwedische Regierung hält Eisen immerhin für so schädlich, dass Cornflakes dort nur ohne Eisenzusatz verkauft werden dürfen. Weil es jedoch „in“ ist, Lebensmittel mit Gesundstoffen aufzupeppen, bekommt so mancher Verbraucher zu viel des Guten. Besonders gesundheitsbewusste Menschen nehmen oft zusätzlich Nahrungsergänzungsmittel ein. Daher hat das Bundesinstitut für Risikobewertung aktuell Vorschläge für Höchstmengen von Vitaminen und Mineralstoffen in Lebensmitteln vorgelegt, an denen sich die Industrie zukünftig orientieren könnte.

Doch nicht alle Forscher sind gegen Designer Food. „Eine Bereicherung könnten etwa Proteinanreicherungen für Immunkranke sein“, so Peter Stehle, Ernährungsphysiologe an der Uni Köln. „Sinnvolle Zusätze sind auch Jod, Folsäure, Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D für alte Menschen“, findet Stehle.

Obwohl sich die Experten uneinig über den Nutzen von Functional Food sind, fordern sie einstimmig weitere Studien, um Wirkung sowie Nebenwirkung von Probiotika & Co. zu belegen – so wie bei Arzneimitteln. Aufgrund dieser Beweise könnten die Hersteller dann ihr Produkt mit „health claims“ schmücken, also mit detaillierten Aussagen zum Gesundheitsschutz. Bislang dürfen die Hersteller zwar auch schon mit der Gesundwirkung ihrer Produkte werben. Allerdings nur, solange diese Werbung allgemein bleibt.

Gegen das aufwändige, teure Procedere sträubt sich die Industrie unermüdlich mit dem Argument: Es gäbe keine „guten“ oder „schlechten“ Lebensmittel, sondern nur „gute“ oder „schlechte“ Ernährungsweisen. Der EU-Verbraucherrat hat jedoch kürzlich einen Entwurf zu „health claims“ in weiten Teilen angenommen. Nun fehlt nur noch das Ja vom Parlament. Das Kernstück des Beschlusses sind die Nährwertprofile. Danach dürften Lebensmittel nur mit einem gesundheitlichen Vorteil werben, wenn das ganze Produkt gesund ist.

Die Gesundheitswerbung etwa für überzuckerte Müslis plus Vitamine wäre damit passé. Und auch die probiotische Schokolade würde zurück in der Süßigkeitenschublade wandern.