Störgeräusche auf Amerikanisch

Die Infernal Noise Brigade aus Seattle spielt den Soundtrack zur Globalisierungskritik.Die Kapelle taucht immer dort auf, wo radikale Globalisierungsgegner, notorische Gutmenschen und Polizisten aufeinander treffen – zuletzt beim G-8-Gipfel in Gleneagles

Sie wollen sich nicht vereinnahmen lassen – weder von Sozialisten noch von Steineschmeißern

AUS AUCHTERADER LENNART LABERENZ

Joe, der Busfahrer, hat einen weißen Blazer angelegt, dazu trägt er Ledersandalen. Es ist ein besonderer Tag. In der Nacht hat er mit seinem alten roten Doppeldecker eine eigenwillige Truppe Amerikaner nach Auchterader gebracht. Selten habe er so etwas gesehen, sagt er mit feinem britischem Gespür für Ironie und Doppeldeutigkeiten, „eine Schlacht, die an die Vorbilder aus der Gegend hier erinnert“.

Die Gegend um Auchterader, nördlich von Edinburgh gelegen, ist von Erbstreitigkeiten, gewalttätigen Thronabsicherungen und Kämpfen gegen Angelsachsen geprägt; Burgen, Wachtürme und Schutzmauern zeugen noch immer davon. Nun tagen hier, nebenan in Gleneagles, die mächtigsten Männer der Gegenwart beim G-8-Gipfel. Und an den Sicherheitsabsperrungen für den Gipfel auf Auchterader Boden hat es ein bisschen Gerangel gegeben. Joes Passagiere haben damit nichts zu tun – na gut, vielleicht ein bisschen. Sie sind hier, um Musik zu machen.

Die Infernal Noise Brigade (INB) hat sich zum Ausgangspunkt globalisierungskritischer Proteste 1999 in Seattle gegründet. Seitdem produziert sie die Störgeräusche zu den sonst so reibungslosen Verwaltungstreffen des Kapitals. Bereits ein halbes Jahr vor Seattle hatten sich die Musiker regelmäßig getroffen. „Es geht uns darum, diese politischen Proteste zu unterstützen, es geht um Musik, Spaß und Ironie.“ Dave, der sonst an seiner Soziologie-Doktorarbeit schreibt, lehnt seine Posaune gegen einen Auchterader Baum und zieht sich das nasse Uniformhemd aus. Becky, die ebenfalls seit fünf Jahren dabei ist, hat ihre Trommel ins Gras gelegt, „ich bin zur INB gekommen, weil sie keine eindeutige politische Botschaft vertritt. Sie lässt damit viel mehr Raum als die meisten politischen Gruppen, die ich kenne. Wir arbeiten surrealer, unterschwelliger: Die Welt ist eben komplexer als politische Schlagwörter.“

Die Brigadisten bilden einen bunten und heiteren Gegenpol zu klassischen Protestgruppen. Sie nähten orange Streifen auf schwarze Hosen und graue Hemden, dazu setzen sie eine Kappe oder eine Fellmütze auf. Uniform ist Pflicht und wird vor jedem Auftritt überprüft. Sie haben es auch nicht so gern, wenn die üblichen Trommelhippies ihre exakten Arrangements stören, Fotografen lassen sie nicht in ihre Mitte. Sie wollen sich nicht vereinnahmen lassen, weder von Sozialisten, Kommunisten oder Steineschmeißern. Aggression und Polizeigewalt begegnen sie tanzend, der Müdigkeit mit zackigen Drills, der Langeweile mit Witz. Auf den großen Marsch der 230.000 weißbehemdeten „Make poverty history“-Anhänger in Edinburgh gingen sie gar nicht erst mit.

Musikalisch lebt die INB von Eigenkompositionen. Marschmusiksätze mit Anklängen an Dixie und afrikanische Trommelrhythmen haben wahlweise beschwichtigende Wirkung, locken zum Tanz oder bringen auch mal die mitgezogenen Demonstranten dazu, auf einem nassen Auchterader Kornfeld einen schwach gesicherten Polizeizaun einzureißen. Stundenlang waren sie schon durch den gleichförmigen Landhausort marschiert, bis unter bleigrauem Himmel der Aufmarsch die von Busfahrer Joe bejubelte martialische Dimension annahm: Nachdem alle 25 MusikerInnen über ein paar Kuhzäune geklettert waren und einen wachsenden Strom Protestierer von der Straße in die sanfte Hügellandschaft gelockt hatten, wirbelten Posaunen und Trompeten, schlugen Trommeln und Becken immer lauter. Mit einem Sprung wendete sich die Brigade mit dem Gesicht gegen die dürftig gesicherte Polizeiabsperrung und mit ihr die Wut der Menge. Der Zaun fiel schnell, einzelne Ackersteine flogen gegen verunsicherte Polizisten. Dicht über den Köpfen der anschwellenden Menge drehte ein schwerer Chinook-Hubschrauber drohende Runden, musste mehrfach Verstärkung absetzen, um die Lücke im Zaun zu schließen. Aus den Hügeln rückte berittene Polizei in breiter Formation vor. Die INB wechselte das Tempo: Im Rückwärtsgang spielte die Brigade „Ring of Fire“ von Johnny Cash, beruhigte mit langsamen Rhythmen die drohende Auseinandersetzung.

„Es geht uns nicht darum, Steinewerfer zu ermutigen, sondern zu zeigen, dass wir da sind. Uns geht es um einen symbolischen Protest“, sagt Tomiko, die für Becken und Schellen zuständig ist. Sie ist mit 35 Jahren die Älteste, die mit nach Europa gereist ist und allem präpotenten Drang unverdächtig. „Wir machen Musik, keine Gewalt“, unterstreicht sie. „Ich halte Steinewerfen sogar für dumm. Wenn aber bei einer Demonstration wie heute ein Zaun fällt und wir zeigen können, dass wir diese Symbole von Abschottung und elitären Zirkeln stören könnten, haben wir viel gewonnen.“

Die 25-köpfige Truppe funktioniert nach dem Konsensprinzip, Vorschläge werden so lange diskutiert, bis alle damit leben können, zum Beispiel für wen man wann spielt. Manchmal kippt die Dynamik in eine langatmige Prozedur, es scheint zwar schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. „Wir brauchen lange, aber wir kommen zum Ziel“, es ist nicht klar, ob Tomiko gelassen oder nur müde ist.

Die INB liegt mit ihrer Art, Globalisierung ironisch und spaßig zu kritisieren, im Trend. Unter Globalisierungskritikern wird solch symbolischer Protest zunehmend zum verbindenden Element unterschiedlicher Gruppierungen. Bei der WHO-Konferenz in Cancún im Sommer 2003 zerstörten hunderte Frauen den Absperrzaun in stundenlanger Arbeit, ehe er mit rhythmischer Eleganz von dicken Seilen aufgerissen wurde. Just als sich die keineswegs zimperliche mexikanische Polizei und die aufgeheizte Menge gegenüberstanden, setzte die starke südkoreanische Delegation ein generelles Hinsetzen durch, alle lauschten einer leisen Zeremonie mit weißen Rauch und Blumen – während der schwarze Block die eigenen Reihen kontrollierte. „Aus diesen Auseinandersetzungen haben wir viel gelernt“, sagt Tomiko. „Wir haben unser Repertoire erweitert.“

Zu ihrer nachmittäglichen Raststätte unter ein paar Regen abweisenden Bäumen am Rande des Auchterader Dorfplatzes kommen immer wieder einzelne Demonstrierende, auch Anwohner, Organisatoren und die allgegenwärtige Clownsarmee hinaufgestiegen. Sie klatschen Applaus, winken und wünschen Glück. „Ihr seid die Besten“, ruft jemand aus dem breiten Strom, der sich weiter unten auf der Straße entlangwälzt. Auch Polizisten nicken freundlich. „Daran sind wir wirklich nicht gewöhnt“, grinst Grey, einer der Vortrommler der Rhythmussektion. Als sie bei den Parteitagen von Demokraten und Republikanern in ihrer Heimat spielten, reagierten die Ordnungshüter ganz anders auf sie. „Die USA sind ein Polizeistaat, jeder einzelne Polizist ist die Inkarnation von beinahe unbeschränkter Macht, auch deshalb, weil meistens unklar bleibt, was Polizisten dürfen und was nicht“, sagt Grey. Die freundlichen schottischen Ordnungshüter, die sie bei Impromtu-Auftritten vor Gefängnissen und auf dem Straßenkarneval begleitet und gleichsam sanft zu dirigieren versuchen, sind ungewohnt.

Im vergangenen Herbst wurden sie beim republikanischen Parteitag in New York beim Musizieren auf dem Bürgersteig verhaftet und für zwei Tage in einer chemikalienverseuchten Lagerhalle am Hudson River eingepfercht – die spätere Anklage des Marschierens ohne Marschiergenehmigung wurde eingestellt. Angestrengte Verfahren gegen Polizeiwillkür sind versandet. „Hier ist es definitiv so, dass Demonstrierende noch Rechte haben“, sagt Grey. „Über ein Kornfeld darf man gehen, demonstrieren darf man auch, nur eben einen Zaun einreißen geht nicht.“ Dave nickt herüber: „In den USA sperren sie dich mittlerweile einen Tag vorher ein, damit es keine Bilder von Demonstrierenden gibt.“

Wer mit der INB reist, muss sich auf so manche US-amerikanischen Eigenheiten einlassen. „Ich bin ein Ergebnis unseres öffentlichen Bildungssystems“, sagt Windy, die Tänzerin. „Ich mag an der INB, dass sie Aussagen in Frage stellt.“ Sie rufen laut „Oh, my God“, wissen manchmal nicht so genau, wo Rotterdam liegt, verkehren diese Stereotype aber auch in ihr ironisches Gegenteil. Sie kommen aus einer Welt, die von Konsum- und Sicherheitswahn bestimmt, von einer ambivalenzfreien Kulturindustrie konditioniert wird. Dagegen stemmen sie sich mit Musik, Tanz und Spaß. Aus dem US-amerikanischen Jugendgefängnis wurden sie herauskomplimentiert, als sie die Bandstrategie bei Auseinandersetzungen preisgaben: Nie mehr als ein Gesetz gleichzeitig zu brechen. Sie unterstützen mit Konzerten Hausprojekte, Straßenbesetzungen und alternative Lebensvorstellungen. In etwa vierzehn von achtzehn Clubs in Seattle haben sie Auftrittsverbot, den Veranstaltern war der Abend zu gefährlich, zu emotional das Publikum, zu unkontrollierbar der Schwarm vom Musikern in Uniform.

In Edinburgh lässt sich solch amerikanisches Ungemach am nächsten Abend erahnen: Nachdem eine sich sehr böse gebende schottische Death-Metal-Band eine Stunde auf geschätzte dreißig Zuschauer eingebrüllt hat, füllt sich das Studio 24 plötzlich. Aus einem Seitengang marschiert die INB, die Gesichter hellen sich auf, die Arrangements greifen, der Saal tanzt wild. Am Tresen knickt Joe, der Busfahrer, leicht in die Hüften und lächelt.