Mit dem F-Flugzeug zum F-Fort

Schwein gehabt: Der kalifornische Künstler Paul McCarthy hat mit seinen Piraten das Münchener Haus der Kunst gekapert. Geranien bekränzen den Eingang in sein „LaLa Land – Parodie Paradies“, in dem man sich auf schwankendem Boden bewegt

Ein Vandalismus, der alle Geschichten mit Mayonnaise und Ketchup ins Unreine schreibtWer sich im Paradies verschanzt, findet sich eben unversehens in der Hölle wieder

VON BRIGITTE WERNEBURG

Wer museumsgängige Kinder hat, der sollte sie packen und ins „LaLa Land – Parodie Paradies“ schleppen. Sie werden zunächst auf ein tolles ausgewachsenes Schwein stoßen und im weiteren Fortgang auf tolle ausgewachsene Schweinereien, auf Piraten und ein Westernfort. Vieles werden sie nicht verstehen und daher glücklicherweise auch nicht sehen. Aber sie werden einen Künstler kennen lernen, der sie nicht einschüchtert. Weil er sein Werk schmutzig, sexuell und unterhaltsam, verwegen, grotesk und komisch präsentiert; penetrant nach Schokolade riechend, dazu akkurat und sorgsam im Detail, und mit jener verwunschenen Ernsthaftigkeit, die auch Kinderspielen eigen ist. Seine Ausstellung im Münchener Haus der Kunst könnte ihre Initiation in die Welt der Kunst sein, weil er ihnen zeigt, dass wilde Kindereien zu deren vitalsten Ressourcen zählen. Aus diesem Grund schätzt man auch als Erwachsener den Künstler und sein Werk. Das krass und voller Witz gegen die großen und kleinen Leuchttürme der westlichen Hoch- und Massenkultur vorgeht, wie die aufgeblasenen Luftballon-Geranien beweisen, die auf eine verdächtig freundliche Art und Weise die klassizistische Front des Münchener Museentempels ruinieren.

Der Künstler, auf den man gleich zu Beginn des Rundgangs trifft, ist der Kalifornier Paul McCarthy. Er liegt auf einer Klappliege, die mit Schaumstoff ein bisschen komfortabler gemacht wurde; ein älterer Herr im Karohemd, das einen gehörigen Kugelbauch versteckt, nicht aber sein Geschlecht, das so rührend zart ausschaut wie die nackten Beine stachelig. Er schläft und sieht dabei wenigstens so lebensecht aus wie das glücklich grinsende „Mechanical Pig“ (2005), das atmet und ganz reizend mit dem gekringelten Schwanz wackelt. „Dreaming“ (2005), sein Selbstporträt, darf als Kommentar zu seinem Werk verstanden werden. Der Körper und der Traum sind zentrale Momente der Kunst, die in McCarthys Werk eine sehr amerikanische (das Holzfällerhemd) und eine sehr männliche (der entblößte Penis) Fassung erhalten, auch wenn in ihr europäische Einflüsse wie Beuys, Beckett oder die Wiener Aktionisten zu erkennen sind. Ganz zu schweigen vom Einfluss der weiblichen Performance-Kunst der 60er-Jahre. Schließlich waren es Frauen wie Carolee Schneemann, Judy Chicago, Valie Export oder Marina Abramović, die mit ihren Body-Art die von Paul Virilio beklagte Pornografie in den Kunstraum brachten.

Der Name des französischen Philosophen des Krieges als einer „Logistik der Wahrnehmung“, in der Film und Kino eine maßgebliche Rolle spielen, fällt nicht grundlos. Paul McCarthy kann als sein Antipode gesehen werden. Virilio analysiert in dieser Logistik der Wahrnehmung das politische, also bewusste Verschwörungspotenzial gegen die Realität, das auf deren Annihilierung zielt. McCarthy dagegen sucht in der Logistik der Wahrnehmung das unbewusste Traumpotenzial, das sich nicht weniger gegen die Realität stellt – freilich um zu ihr durchzustoßen. Auch er nimmt Hollywood und Disneyland ins Visier, in deren Umgang mit neuzeitlichen Gründungsmythen wie dem Beutekapitalismus der Piraterie oder der Eroberung des amerikanischen Westens er fündig wird.

Entsprechend hat er seine Ausstellung als Themenpark organisiert. In der großen Mittelhalle des Hauses der Kunst, zu Zeiten, als Adolf Hitler dort seine Reden hielt, „Ehrenhalle“ genannt, baute er das zentrale „F-Fort“, genauer wohl „Fuck-Fort“ (2005), seines „Western Projects“ auf. Das große Fort mit fünf Türmen ist ein Architekturzitat aus der Fernsehserie „F-Troop“, gleichzeitig soll es an eine beliebte Spielart des amerikanischen Einkaufszentrums erinnern. Das Fort ist von Planwagen umstellt, die nach dem Modell eines Kitschobjekts, einer Lampe, gefertigt wurden. An den Wänden drum herum sind Aktionen und Performances aus den 60er- und 70er-Jahren fotografisch dokumentiert. Wohin diese Anfänge führen, ist auf einer Reihe von Monitoren zu beobachten, mit Szenen der Ein- oder besser Entweihung des Forts durch eine Gruppe deutscher Schauspieler, die McCarthy zu diesem Zweck engagierte. In Kavallerieuniformen gekleidet, bringen sie im Verlauf ihrer mehrtägigen Erkundung des Forts und des Lagerlebens die unrühmliche Vergangenheit des Ausstellungsortes wie des Ausstellungsobjektes mit der unrühmlich andauernden Gegenwart militärischer Aktionen ganz schön durcheinander. Sie lassen, wie man so sagt, die Sau raus, die sich in jenem mechanischen Schwein konkretisiert, mit dem im Ostflügel das „Pirate Project“ beginnt.

„Gray Ghost“ (1936/2005) ist das Modell eines Piratenschiffs, das als Originalrequisit für den 1942 gedrehten Film „Black Swan“ diente. Paul McCarthy hat es ersteigert und als eine Quelle jener Populärkultur ausgestellt, aus der er seine Kunst schöpft. Die freilich übersteigt in ihrer Parodie der Piraterie im Hollywoodfilm oder in Disneys Erlebnistour jedes vorstellbare Maß. Eine verlassene Fregatte – in deren skulpturaler Form McCarthy und sein Koautor, Sohn Damon, mehr das Raubgut heutiger Piraten, den Container, betonen als das frühere Kriegsschiff – füllt den zentralen Raum im Ostflügel, zusammen mit einem Dorf, einer Kuchenschachtel und einem Hausboot. Und wieder laufen auf Videomonitoren Filme, in denen sich die Architekturen als Schauplätze wüster Orgien aus Sex und Gewalt herausstellen. Albträume aus Züchtigung, Vergewaltigung, wortlosem Gegrunze, Kot, Blut und Amputationen – schließlich hat der Pirat außer seinem Schlapphut mit dem Totenschädel und den gekreuzten Knochen immer ein Holzbein und eine eiserne Hakenhand – hat McCarthy hier inszeniert. Leider treffen sie in ihrer Grundaussage die historische Realität an Bord wohl so präzise, wie umgekehrt Disneys Familienunterhaltung das reine Wahngebilde ist.

Wer Abu Ghraib bei diesen Szenen assoziiert, hat den Künstler auf seiner Seite. Geschenkt, was das Oberflächenphänomen betrifft. Interessanter ist die offenkundige Raserei, in die besonders die würdelose Harmlosigkeit von Disneyworld McCarthy versetzt. Doch er will den Erzschurken, den sein deutscher Adept Jonathan Meese gerne pathetisch beschwört, keineswegs vor seinem Niedergang als Kasperlefigur retten. Dafür ist es dem in LaLa Land Los Angeles lebenden McCarthy zu ernst mit dem Chaos und der Lachhaftigkeit seiner Inszenierungen. Schreitet er zur Amputation, fehlt bestimmt die Säge, die erst gesucht werden muss; sein Splatter ist zu offensichtlich Requisitenkunst, um am Ende nicht doch vor allem komisch zu sein; seine Scheiße riecht zu sehr nach Schokolade, damit einem wirklich übel würde, selbst wenn auch dieser Geruch ekelhaft ist. Und der immense Betrieb aus Statisten, Schauspielern, Technikern und Experten für Spezialeffekte, den es braucht, das „House Boat Video“ oder „Pirates Video“ zu drehen, ist zu penetrant im Bild, um nicht das Gemachte und Ausgedachte als den eigentlichen Kernpunkt seiner Arbeit zu bezeichnen; den Vandalismus, der alle Geschichten mit Mayonnaise und Ketchup ins Unreine schreibt.

Trotz allem Wirrwarr überlädt McCarthy seine Szenen nicht – wie die von ihm inspirierten jungen Künstler, etwa Jason Rhodes oder zuletzt in Venedig John Bock. Tatsächlich funktioniert der Set eher wie ein Konzentrat, in dem die unpassenden, abstrusen Verbindungen, die die einzelnen Teile miteinander eingehen, den Eindruck hervorrufen, man verliere den Überblick und verfange sich in einem wilden Traum. Der unzensiert, grotesk und erschreckend komisch ist, gleichgültig, ob er nach Art der Surrealisten oder der des Dr. Freud gelesen wird. Man bewegt sich auf schwankendem Boden, wie in der kinetischen Holzkonstruktion „Underwater World“ (2005). Risse und Brüche tun sich hinter glatten Masken und lustigen Skulpturen auf, offenbare Geheimnisse werden noch einmal ausgeplaudert: Wie ein Geschwür sitzt der Penis im Auge des Piraten, „Dick Eye“ (2005). Es gibt also Bilder zum Fürchten. Sie infizieren ihre massenkulturellen Quellen mit einer Dosis heilsamem Schrecken. Der Wahnsinn herrscht schließlich dort, wo man solche Bilder nicht mehr kennen will. Wer sich im Paradies verschanzt, findet sich eben unversehens in der Hölle wieder: So führt Disneyland zu Abu Ghraib.

Paul McCarthy, 1945 in Salt Lake City geboren, überblickt eine rund vierzigjährige Karriere als Künstler, was sich deutlich in der Souveränität niederschlägt, mit der er seine Münchener Schau bis ins Detail hinein einrichtete. Schon Ende der 60er-Jahre, nach seinem Abschluss am San Francisco Art Institute, wurde er mit der an die Minimal Art verweisende Performance-Serie „Instructions“ bekannt. Schleppe eine Bowlingkugel einen Berg hoch und lass sie runterrollen: „Mountain Bowling“ (1968) ist als Fotodokumentation im Haus der Kunst zu sehen. Wenig später, etwa mit „Sailor’s Delight/Sailor’s Meat“ (1974), steigerte er seine Performances zu spektakulären Körperexzessen, die in ihrer Drastik den Spektakeln der Wiener Aktionisten in nichts nachstanden. Als Alter Ego führte er schließlich in den 80er-Jahren kinetische Figuren und Puppen in seine stets als Bühnenbild inszenierten Installationen ein. Obwohl McCarthy als wichtiger Protagonist der Westküsten-Kunstszene nie wirklich in Vergessenheit geriet, konnte Paul Schimmel, Kurator am Museum of Contemporary Art in Los Angeles, noch 1992 behaupten, McCarthy gehöre zu einer Gruppe von unabhängigen Künstlern, die vom Kunstmarkt, der Galeristenszene oder dem internationalen Ausstellungszirkus der Biennalen und Documentas nicht vereinnahmt sei. Lang, lang ist’s her.

Paul Schimmels „Helter Skelter“-Ausstellung war exakt der Startschuss für McCarthys internationale Karriere und seinen Siegeszeug im Kunstmarkt, den sein Galerist Iwan Wirth organisierte. Inzwischen kann der Künstler mehr als 25 Mitarbeiter beschäftigen, um seine Großinstallationen zu realisieren. Seine Galerie Hauser & Wirth wollte die Münchener am 11. Juni zur Vernissage doch nicht mit Paul McCarthys „Westernparade“ alleine lassen. Also stellte sie ihren Kunden, die in Venedig gerade die Eröffnung der Biennale gefeiert hatten, ein adäquates Verkehrsmittel zur Verfügung; ein – man verzeihe unser Stottern – F-Flugzeug, also ein Fuck-Flugzeug, um sie zunächst über die Alpen zu schippern und am darauf folgenden Tag zum letztlich einzigen Ort der Wahrheit in der Kunst, der Art Basel. Nun gut, Paul McCarthy hat diese Prozession nicht organisiert. Und Geld, wie wir wissen, stinkt nicht. Auch nicht nach Schokolade.

Bis 28. August, der Katalog (Hatje Cantz, 35 €) soll in Kürze vorliegen