„Familienpolitik muss vereinheitlicht werden“

Bund und Ländern fehlt eine gemeinsame Politik für Familien, die Maßnahmen sind schlecht aufeinander abgestimmt. Allerdings: Mehr Kinder werden wohl kaum geboren, wenn der Staat Paare mit Nachwuchs stärker subventioniert

Herr Schmähl, kurz vor der Bundestagswahl machen die Parteien wieder allerhand Vorschläge zur Familienpolitik. Meist sind sie verbunden mit einem Ziel: mehr Geld in die Hände der Familien zu geben. Ist das noch zeitgemäß?

Winfried Schmähl: Was familienpolitisch notwendig und sinnvoll ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Im Zentrum stehen derzeit die Versuche, Anreize für höhere Geburtenzahlen zu geben und auf der anderen Seite die Betreuungssituation der Kinder zu verbessern, damit mehr Frauen am Erwerbsleben teilnehmen können.

Werden denn mehr Kinder geboren, wenn Paare mehr Geld in der Tasche haben?

Da sind Zweifel angebracht. Die Aussicht auf höhere Transferzahlungen weckt heute keine Kinderwünsche mehr. Gegen Kinder spricht für viele Zukunftsangst, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vor sozialer Unsicherheit.

Also könnte sich der Staat die Ausgaben auch sparen?

Nein, das sicher nicht. Aber wir beobachten eine totale Zersplitterung der Instrumente. Niemand weiß doch, von welcher Stelle wie viel Geld für welches Ziel an die Familien ausgegeben wird. Da kommt Geld aus dem Bundeshaushalt, den Haushalten der Länder und Kommunen, der Sozialversicherung, den Wohlfahrtsverbänden. Das muss gebündelt werden. Auf der anderen Seite: Wenn mehr Geld für Familien ausgegeben werden soll, dann muss das auch gegenfinanziert werden. Das geht wiederum meist nicht, ohne die Familien an anderer Stelle zu belasten.

Wo denn zum Beispiel?

Nehmen Sie die Eigenheimzulage. Familien, die planen, ein eigenes Haus zu bauen, würde es hart treffen, wenn diese plötzlich flachfiele. Und welche Wirkung ein Wegfall der Eigenheimzulage oder die geplanten Förderungen auf die Geburtenentwicklung haben könnten, weiß heute niemand.

Bleiben wir bei einer der wichtigsten Transferzahlungen, dem Kindergeld. Das geht meist schon für die Kindergartenkosten drauf. Wie sinnvoll ist das?

Völlig richtig. Wir machen uns zu wenig Gedanken über den Gesamteffekt einzelner Maßnahmen, sondern sehen nur das einzelne Instrument. Die Familienpolitik in Deutschland ist dafür exemplarisch.

Kann es unter den gegenwärtigen Bedingungen überhaupt eine Familienpolitik des Bundes geben, die den Anspruch hat, umfassend zu sein?

Ein bundesweit einheitliche Familienpolitik wäre sicher sinnvoll. Der Bund alleine aber kann das nicht. Es kann nur gehen, wenn die verschiedenen Institutionen an einem Strang ziehen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn nicht jede dieser Institutionen das Geld alleine an die Familien ausgibt, sondern es beispielweise an eine Familienkasse überweist, die dann für alle Transferleistungen zuständig ist.

Das käme einer Zentralisierung der Familienpolitik gleich. Mit den Ministerpräsidenten der Länder ist das nicht zu machen …

Das wäre keine Zentralisierung. Eine Familienkasse würd die verschiedenen staatlichen Ebenen zwingen, zu gemeinsamen Zielvorstellungen zu kommen.

Eine schöne Vorstellung angesichts des real existierenden Föderalismus. Ist der nicht der größte Feind einer einheitlichen Familienpolitik?

Wenn 16 Länder und der Bund jeweils eine eigene Familienpolitik betreiben, ist das nicht gerade hilfreich. Es kommt also entscheidend darauf an, dass sich die Akteure über die Ziele einig werden. Über die Ziele der Familienpolitik wird im Übrigen viel zu wenig nachgedacht. Für die Politiker sind die Instrumente der Geldverteilung offenbar interessanter.

Gerade die skandinavischen Länder machen es vor: hohe Steuerquote, viel Geld für Betreuung und Transferleistungen. Ergebnis: zufriedene Familien. Könnten sie Vorbild für Deutschland sein?

Internationale Vergleiche sind immer etwas problematisch, weil die Bedingungen in anderen Ländern meist erheblich von unseren abweichen. In Schweden etwa ist die Frauenerwerbstätigkeit sehr hoch. Aber sie findet vornehmlich im öffentlich finanzierten Sektor statt. Das aber ist ein Bereich, in dem wir in Deutschland die Beschäftigung gerade zurückfahren wollen.

Wie wirkt sich eigentlich die seit Jahren anhaltende Debatte über die richtige Richtung in der Familienpolitik auf die Familien aus?

Vor allem die immer neu aus dem Hut gezauberten Vorschläge bewirken, dass die Menschen sich kaum noch auf das verlassen können, was ihnen gestern gesagt worden ist. Übrigens auch verteilungspolitisch ist es nicht unproblematisch, einfach nur mehr Geld in Familien zu geben. Vom Elterngeld der SPD würden vor allem reiche Familien profitieren.

INTERVIEW: THORSTEN DENKLER