Mit Kirschbäumen gegen Bagger

Der Bund für Umwelt und Naturschutz klagt gegen die Enteignung seiner Obstwiese bei Garzweiler. RWE muss nun nachweisen, dass der geplante Braunkohleabbau energiepolitisch notwendig ist

AUS OTZENRATH ISABEL FANNRICH

Auf den ersten Blick scheint die Autobahn 44 zwischen Mönchengladbach, Köln und Aachen zwei Welten voneinander zu trennen. Auf Höhe der Abfahrt Otzenrath klafft rechts der Schnellstraße ein riesiges hässliches Loch: Im Tagebau Garzweiler I baut die RWE Power AG, ehemals Rheinbraun, mit mächtigen Baggern Braunkohle ab. Links der Autobahn liegt friedlich die Ortschaft Otzenrath.

Rechts die Bagger, links unbehelligt das Dorf? Der Eindruck trügt. Im 1.700-Einwohner-Ort Otzenrath herrscht gespenstische Ruhe. Rollläden versperren bei den meisten Häusern den Einblick, Scheiben sind selbst in den Kirchenfenstern zersplittert. Kaum ein Auto parkt am Straßenrand, kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Und auf der anderen Seite, unmittelbar neben dem Loch, tragen die Bäume einer Obstwiese ihre ersten Früchte. Der BUND, der Bund für Umwelt und Naturschutz, hat das Feld 1997 gekauft und mit heimischen Apfel-, Pflaumen- und Kirschbäumen bepflanzt. Ökologisch und wohl kalkulierend, dass diese Wiese einmal ein Stachel in den späteren Planungen der RWE für Garzweiler II sein könnte.

Die Rechnung ist aufgegangen: Wenn der Kohlevorrat von Garzweiler I ausgeschöpft ist, will RWE das restliche Gebiet bis zur Autobahn abbaggern, auch unter den Obstbäumen. Gegen die von RWE geforderte Grundabtretung hat der nordrhein-westfälische Landesverband des BUND Klage eingelegt. Eine Zwangsenteignung nennen das die BUND-Aktivisten, die zumal gegen das Allgemeinwohl verstoße. „Der Schutz der von der Verfassung garantierten Grundrechte und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sind gegenüber den allein wirtschaftlichen Interessen der RWE Power AG vorrangig“, argumentiert der Landesvorsitzende des Verbandes, Klaus Brunsmeier. „Der BUND wird sein Eigentum auch auf dem Rechtsweg, nötigenfalls bis hin zum Bundesverfassungsgericht, verteidigen.“ Es sei das erste Mal, so der BUND-Sprecher Dirk Jansen, dass im Zusammenhang mit dem Braunkohleabbau ein Grundeigentümer seine Grundrechte prüfen lasse.

Auch das 800 Jahre alte Otzenrath auf der anderen Seite der Autobahn soll nach Plänen der RWE von der Landkarte verschwinden. Doch die meisten Einwohner haben sich jahrelangem Druck des Energieriesen gebeugt und sind bereits in das wenige Kilometer entfernte, komplett neu gebaute Dorf Spenrath gezogen. Geplant auf dem Reissbrett, finanziert von RWE und aus Städtebau-Förderungsmitteln des Landes. In Otzenrath reißt jetzt schon ein Bagger ein Wohnhaus gegenüber der Kirche ein. Ein älterer Herr schaut mit Sohn und Enkel zu. Die drei sind extra aus der Neusser Gegend angereist. „Vielleicht können wir etwas mitnehmen“, sagt der Großvater und lässt die Arbeiter eine Wohnungstür herbei holen. Ein paar Meter weiter, an der kleinen Ortsumgehungsstraße, mäht ein Arbeiter die Wiese. „Im Auftrag der Rheinbraun“, erzählt er. „Hier soll es schön aussehen. Schließlich fahren Autos vorbei.“

Nach Meinung des BUND gibt es kein zwingendes öffentliches Interesse mehr am Braunkohleabbau. Ein „hervorragendes Gutachten“ des Ökoinstituts belege den energiepolitischen Wandel weg von der Kohle, hin zu umweltfreundlicheren Alternativen in Form hocheffizienter Gaskraftwerke, erneuerbarer Energien und Energiesparen. „Der Tagebau steht wegen seiner weit reichenden ökologischen, sozialen und klimapolitischen Folgen im Widerspruch zum Wohl der Allgemeinheit“, so der BUND. „Auch ohne Garzweiler II gehen die Lichter nicht aus.“

Die vorgestern angestrengte Klage vor dem OVG Düsseldorf sei „schwebend wirksam“, sagt der vom Verband beauftragte Rechtsanwalt Dirk Teßmer. RWE können bis auf Weiteres nicht über das Grundstück verfügen, sondern sei jetzt im Zugzwang, die „energiepolitische Notwendigkeit“ von Garzweiler II vor Gericht zu belegen. „Wenn RWE die nicht nachweisen kann, ist Schluss“, hoffen die BUND-Leute. Den meisten Otzenrathern hilft das nicht mehr.