„In ländlichen Regionen droht vielen Krankenhäusern das Aus“

Boris Augurzky vom Essener Forschungsinstitut RWI prophezeit für die Kliniken in NRW große Veränderungen: Jedes zehnte Haus werde in den nächsten fünf Jahren pleite gehen, die übrigen werden sich spezialisieren oder zu großen Ketten fusionieren. Vor allem Patienten auf dem Land werden weite Wege zum nächsten Krankenhaus zurück legen müssen

taz: Herr Augurzky, ist die bisher einzigartige Patientenverlegung in Rheda nur der Anfang einer Welle von Krankenhausinsolvenzen?

Boris Augurzky: 20 Prozent der deutschen Krankenhäuser sind nach unserer Studie im roten Bereich. Die sind zwar nicht insolvent, aber in Schwierigkeiten. Da wir uns hier in einem Markt mit vielen öffentlichen und frei gemeinnützigen Anbietern bewegen, findet sich häufig noch in letzter Sekunde eine Finanzspritze. Private Klinikträger haben zwar gegen diese Subventionierung geklagt, aber die Europäische Union billigt weiterhin diese Praxis.

Welche Kliniken sind in erster Linie betroffen?

Ganz klar die städtischen Krankenhäuser. Die Kommunen dürfen zwar Gelder nachschießen, können es aber häufig gar nicht mehr. Privatisiert dann eine Stadt ihr Krankenhaus, um den eigenen Haushalt zu entlasten, kann es prinzipiell zu einer Insolvenz kommen.

Wie viele müssen dann in Zukunft die Tore schließen?

In den nächsten fünf Jahren werden nach unseren Berechnungen zehn Prozent der bundesweit 2.200 Krankenhäuser ihre Pforten schließen. NRW ist da trotz seiner vielen gemeinnützigen Träger keine Ausnahme. Allerdings verlieren viele der betroffenen Häuser wahrscheinlich nur ihre Eigenständigkeit und werden als abgespeckte Zweigstellen in Klinikketten weitergeführt.

Droht vor allem den ländlichen Regionen der Aderlass?

Das bleibt zu befürchten. Die Städter werden davon wenig merken. Ob beispielsweise in Essen 14 oder zwölf Kliniken zur Verfügung stehen, macht zumindest für die ortsnahe Akutversorgung keinen Unterschied. Im ländlichen Bereich bricht mit der Schließung der einzigen Klink eine ganze Infrastruktur weg. Auch ohne Schließung verschärft sich die Situation:Das neue System der Fallpauschalen zwingt zur Spezialisierung und das ist angesichts der ländlichen Hospitalgrößen unvereinbar mit einer ortsnahen Versorgung.

Gibt es weitere absehbare Entwicklungen?

Regionale Monopole. Egal ob konfessionelle oder private Trägerschaften – im anhaltenden Verdrängungswettbewerb geht der Trend zur Klinikkette. Wenn die Konkurrenten aus dem Weg sind, droht die Konkurrenz um die beste Behandlungsqualität abzuflauen. Dem steht zwar ein höheres Gesundheitsbewusstsein der Patienten entgegen, die sich immer besser informieren und selbst weite Wege nicht scheuen. Aber immerhin zeigen die jüngsten Fusions-Verbote gegen die private Rhön-Gruppe, dass Kartelle im Gesundheitswesen nicht nur Panikmache, sondern mittlerweile Realität sind.

Landflucht der Hospitäler. Regionale Monopole. Alles Indikatoren für klassisches Marktversagen. Welche Lösungen gibt es für diese Probleme?

Das Krankenhauswesen kann ohne Qualitätseinbußen deutlich weniger reguliert werden. Beispielsweise ist die aktuelle Krankenhausplanung und die Investitionsförderpraxis zu hinterfragen. Ohne eine Regulierung geht es allerdings nicht, denn für rein marktwirtschaftliche Lösungen ist das Gesundheitssystem nicht ausgelegt.

Warum?

Patienten interessieren sich schließlich nicht für die Kosten ihrer Krankenkasse, sondern für die Qualität ihrer Behandlung. Ob anteilsmäßige Zuzahlungen genug Anreize zum kostenbewussten Verhalten geben, ist bei der Höhe zumindest fraglich. Und hohe persönliche Zuzahlungen sind letzten Endes unsozial.

INTERVIEW: RALF GÖTZE