Wieder einen Kopf kürzer

Alice Cooper schockrockte altbewährt: Großeinsatz für Schädelattrappen, Kunstblut und diverse Waffengattungen in der Columbiahalle. Nur der Meister selbst braucht fast keine Schminke mehr

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Alice Cooper ist einfach der Coolste. Wie viele haben sich von ihm inspirieren lassen: Ozzy Osbourne, Kiss, Marilyn Manson. Aber allein Alice Cooper ist der wahre Fürst. Ein Großfürst der Finsternis – als Vincent Damon Furnier und Sohn eines Pastors 1948 in Detroit geboren. Das Love and Peace gebietende Hippiegetue seiner Generation ging ihm auf die Nerven, und so erfand er 1969, inspiriert durch Horrorfilme, das Genre „Schockrock“.

Viele, die am Dienstagabend in der Columbiahalle auf ihn warten, waren damals noch jung: Biker, Rocker und seniorenpassberechtigte Ehepaare, die man eher beim Sommerfest der Laubenpieper als bei Alice Cooper vermutet hätte. Wie viele von ihnen haben wohl 1973 den berühmten Bravo-Starschnitt mitgesammelt? Auf diesem Weg nämlich löste damals der dämonisch grinsende Alice Cooper den blitzsauberen Olympiasieger Mark Spitz ab und hing fortan überm Jugendbett.

Manche im Publikum haben versucht, sich mittels des Tuschkastens äußerlich dem Idol anzugleichen. Bei den Älteren ist das Ergebnis Furcht erregend, die Jüngeren sehen sämtlichst wie schwarze Tränen weinende Marilyn Mansons aus. Aber die Freude, Alice Cooper leibhaftig vor sich zu sehen, ist bei allen groß. Jubelnd und mit gereckten Teufelsfäusten wird er empfangen. Erstaunlich: Alice Cooper wird nicht älter, nur sich selbst immer ähnlicher und braucht sich kaum noch zu schminken! Früher mussten noch schwarze Blutfäden aus den Mundwinkeln rinnen, jetzt reichen schon der natürliche Faltenwurf des Gesichts und dazu die mascaragebadeten schwarzen Augen – und die Horrormaske ist perfekt.

So steht er da, singt und schwenkt die Requisiten: Gefährlich hantiert er mit Peitsche, Säbel, Reitgerte und Schwert, schüttelt schwarze Rumbarasseln und schleudert mit den Zähnen billiges Geschmeide ins Publikum. Arrogant und verlässlich böse stolziert er auf der Bühne herum und herrscht mit dem Zeremonienstab über die Menge: „No more Mr. Nice Guy!“, singt die begeistert mit. Die jungen Begleitmusiker schonen sich nicht: Beseelt stampfen sie am Gerät, dreschen in die Saiten und lassen die Gitarren wie Kreissägen klingen. Der Schlagzeuger thront hoch über allem und erfreut mit allerhand Zirkusstückchen: Er lässt die Stöcke wie Propeller in den Fingern kreisen, wirft sie zwischen zwei Schlägen hoch und fängt sie timinggenau wieder auf – schon lange hat man solch herrliche Old-School-Muckerspiele nicht mehr gesehen. Es ist alles recht laut und intensiv. Baumlange Männer fallen um und werden von grimmig helfenden tätowierten Freundesarmen wieder hochgezogen. Aber dann kommen ein paar unbekanntere Stücke, offensichtlich aus dem aktuellen Album. Gerade als man anfängt, sich ein bisschen zu langweilen, beginnt die Show: Ein Peitschengirl im Lederbikini peitscht herum, Alice Cooper verschwindet hinter ihrem Umhang – Zeit für das unvermeidliche Schlagzeugsolo. Aber auch das geht irgendwann einmal zu Ende. Alice kommt zurück, sammelt Körperteile auf der Bühne ein und setzt sie unter Absingen des Liedes „Be My Frankenstein“ wieder zusammen. Eine blondgelockte Tänzerin wird zu „Only Women Bleed“ niedergestochen. Alice macht in Zwangsjacke auf „Wicked Young Man“, seltsame Männer mit Strohhüten – wir wollen sie Schergen nennen – wuseln auf der Bühne herum, ein zerlumpter Buckliger – wir wollen ihn Quasimodo nennen – macht wilde Gesten ins Publikum. Das theatrale Geschehen erinnert ein wenig an die übertrieben plumpen Gesten beim Wrestling, dabei hat sich Wrestling in Wahrheit wohl fast alles bei Alice Cooper abgeschaut.

Der windet sich indessen aus der Zwangsjacke, die Schergen laufen aufgeregt hin und her, Quasimodo kreischt: „Shall we show him the guillotine?“ „Guillotine! Guillotine!“, skandieren alle wie im Revolutionsmusical, das Gerät wird hereingerollt und Cooper darunter eingespannt. Dies ist nun der eindeutig gruseligste Teil des Abends. Auch wenn man weiß, dass diese Show seit 35 Jahren nur unwesentlich verändert immer wieder aufgeführt wird, fühlt das mitleidige Zuschauerherz mit dem Darsteller: Was muss das für ein Gefühl sein, Jahr um Jahr, auf jeder Tour, Tag für Tag einen Kopf kürzer gemacht zu werden?

Zum Glück findet Alice Cooper Ausgleich in einem ruhigen Leben, geht sonntags zur Kirche, führt ein Restaurant und ist seit 25 Jahren mit derselben Frau verheiratet. Während man so sinniert, ist der Kopf auch schon, täuschend echt vom Messer abgetrennt, nach unten gefallen. Quasimodo und die Schergen packen ihn unsanft am Schopf, küssen ihn und spucken Blut.

Kurz darauf erscheint der auf wundersame Weise wiedergeborene Sänger im weißen Frack und Zylinder und kreischt den 72er-Welthit „School’s Out“ und die 89er-Granate „Poison“ in die Menge, was dazu führt, dass dieses Spitzen-Hardrockmusical unter großem Jubel zu Ende geht. Ein Trost für diejenigen, die dieses unterhaltsame Konzert verpasst haben: Alice Cooper raucht nicht und trinkt nicht, aber er joggt und spielt Golf mit Handikap 3 – er wird’s also noch eine Weile machen.