Mit Helm und Kopftuch

AUS TEHERAN KARIM EL-GAWHARY

Wenn sie ihre Trainingseinheiten auf der Piste im Westen Teherans herunterrast, erhitzt nicht nur die Mittagssonne den Asphalt. Laleh Saddigh fährt den heißesten Reifen in der Islamischen Republik Iran. Geschickt und mit quietschendem Pneus nimmt die professionelle Rallyefahrerin die engen Kurven, um danach sofort wieder durchzustarten und mit röhrendem Motor in die Gerade zu brettern. Das Wort „Champion“ prangt nicht umsonst auf ihrem orange-weißen malaysischen Proton-Rennwagen, mit dem sie durch Geschlechterbarrieren bricht.

Ihrem Kosenamen „iranische Schuhmacherin“ macht sie alle Ehre. Seit fünf Jahren fährt sie im Iran Rallyes, entlang dem Kaspischen Meer, über Berge und durch Wüsten. Seit einem Jahr darf sie auch in Wettbewerben gegen Männer antreten. Mit Erfolg: Ihre männliche Konkurrenz sieht oft nur noch die hintere Stoßstange ihres Wagens in einer Staubwolke verschwinden. Bereits mehrmals gewann sie den ersten Preis und bekam die Trophäe überreicht.

Nur wenn die 28-jährige den Wagen stoppt, sich abschnallt und sportlich aus dem Schalensitz schwingt, langsam die Handschuhe abstreift und den Helm abnimmt, verrät das obligatorische Kopftuch, dass sie auf den Pisten im Land der islamischen Revolution ihre Runden dreht. Von der Zehenspitze, über den engen orange-weißen Rennanzug bis hin zu den Haaren unter dem Kopftuch: Die Frau strotzt vor Selbstbewusstsein. „Es ist schon etwas merkwürdig für die meisten meiner Landsleute eine Frau bei einem Autorennen zu sehen. Aber ich will ihnen zeigen, dass in jedem Menschen etwas steckt und jeder Mensch seine Ziele erreichen kann“, sagt sie. „Die iranischen Frauen sind stolz auf mich und drängen mich, noch besser zu werden. Ich hoffe, ihnen als Beispiel zu dienen, dass Frauen mit einem starken Willen alles erreichen können“. Laleh Saddighs Selbstsicherheit scheint grenzenlos.

Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr sitzt sie hinter dem Steuer. Ihr Fahrlehrer war ihr Vater, ein Händler für Autoersatzteile, der ihr beibrachte, den richtigen Gang einzulegen. „Er ist mein größter Förderer und meine erste große Liebe“, schwärmt Laleh Saddigh von ihrem Vater. „Auch meinen Ehrgeiz habe ich eindeutig von ihm“, gibt sie zu. Als sie vierzehn war, hatte sie sich regelmäßig heimlich das Auto des Vaters ausgeliehen, um auf Spritztour zu gehen. Dabei hatte sie einmal einen Auffahrunfall. Diskret parkte sie den demolierten Wagen wieder auf der Straße vor dem Haus der Familie und machte den Vater glauben, ein Fremder sei in das geparkte Fahrzeug gefahren und habe Fahrerflucht begangen. Vier Jahre später, als sie endlich ihren Führerschein erhielt, nahm sie den Vater beiseite und beichtete ihm die Wahrheit.

Der Vertreter des iranischen Rallye-Verbandes in der Baracke neben der Rennbahn sieht mit seinem geschorenen Bart aus wie ein typischer Vertreter des islamischen Regimes in Teheran. Aber er scheint sich mit dem neuen, sehr weiblichen, sehr sturen Renntalent und den anderen dreißig Fahrerinnen des Verbandes abgefunden zu haben. „Natürlich müssen die Frauen den islamischen Sitten entsprechen“, erklärt er und antwortet auf die Frage, was das nun genau bedeutet, grinsend: „Solange sie bekleidet sind, ist eigentlich alles in Ordnung.“

Vor ihrem Wagen auf der Rennbahn lacht die sympathische Laleh Saddigh kurz darauf laut über die Frage, wie sie sich fühle, wenn sie oben auf dem Podium auf die männlichen Konkurrenten hinunterblicke, und imitiert die Männer, indem sie als Grimasse ein langes Gesicht zieht. „Genau so sehen sie dann aus.“ Erneut kann sie mit ihrem Lachen nicht an sich halten. „Ich sage ihnen dann, sie müssen einfach ein bisschen mehr üben, um besser zu werden.“

Eine echte Herausforderung und die beste Schule findet Laleh Saddigh im chaotischen, vollkommen unberechenbaren Teheraner Stadtverkehr. Die Fahrerinnen und Fahrer hupen aggressiv, niemand schaut sich um, niemand blinkt. „Wenn du in der Rallye fährst, hast du es mit professionellen Fahrern zu tun. Aber in Teheran gibt es eine Menge Sonntagsfahrer, da muss man besser aufpassen und sich mehr konzentrieren“, lautet Laleh Saddighs Rat.

Erst am Abend findet die Management-Studentin im Kreise ihrer Familie in einem Teheraner Restaurant ein wenig Ruhe. Und es sind nicht nur PS-starke Wagen, die sie faszinieren – neben ihrer Liebe für schnelle Autos ist sie auch noch passionierte Springreiterin, außerdem kennt sie sich nicht nur mit Motorenöl aus, sondern malt auch Ölbilder. Außerdem spielt sie Klavier.

Doch ihre gefährlichste Leidenschaft ist die Rallye. „Laleh ist eine echte Draufgängerin, oft habe ich Angst um sie“, berichtet Banascheh, ihre jüngere Schwester, die heute die Autoersatzteilfirma des Vaters leitet. Dann listet sie die familiäre Unfallstatistik auf, über die ihre Schwester nur ungern spricht. In Lalehs Oberschenkel steckt eine Metallplatte, die von einem Crash herrührt, als sie wenige Monate nach dem Erhalt ihres Führerscheines auf einer kurvigen Strecke zwischen Teheran und dem Kaspischen Meer mit über 100 Stundenkilometern in einen Baum gerast ist.

Bei einem Unfall vor einem Jahr brach sich die Rallyefahrerin dann gleich zwei Halswirbel. Die Ärzte verschrieben ihr mehrere Monate Bettruhe. Nach ein paar Wochen saß sie bereits wieder am Steuer. „Meine Mutter betet jeden Tag für die Sicherheit ihrer rasenden Tochter und versucht sich damit zu beruhigen, dass sie die sieben Leben einer Katze besitzt“, ruft Banascheh Saddigh quer über den Tisch.

Ihre Stimme wird fast von der persischen Livemusik übertönt, die von den Mullahs neuerdings in einigen Teheraner Restaurants wieder zugelassen ist. Geschickt wirft einer der Musiker seine Trommel über seinen Kopf, um sie aufzufangen und seinen Wirbel fortzusetzen. Laleh Saddigh klatscht mit. Doch zumindest hier werden ihr erstmals an diesem Tag Grenzen gesetzt. Als der Zopf ihres pechschwarzen Haares unter ihrem geblümten Kopftuch herausfällt, hält sie der Wirt an, ihre Haarpracht wieder „islamisch angemessen“ zu verbergen. Es wäre nicht das erste Mal in Teheran, dass ein Lokal nach einer islamischen Sittenkontrolle für einen Monat dichtgemacht wird.

Plötzlich wirkt sie ein wenig abwesend. Vielleicht schweifen ihre Gedanken wieder zur Rennpiste, wo der Helm ihre Freiheit schützt.