Königlicher Strategiesport

Fürstliche Tugend statt verwerflicher Zeitvertreib: Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt eine Ausstellung zur Geschichte des Schachspiels vom siebten Jahrhundert bis heute

von Hajo Schiff

Auch diese Geschichte hat Europa kolonisiert: Schach galt lange als Errungenschaft der Griechen, eine Erfindung, um vor Trojas Mauern die Strategie zu schulen. Tatsächlich trat das Schachspiel im siebten Jahrhundert seinen weltweiten Siegeszug vom persischen Raum aus an – schon der Name Schach ist eine direkte Ableitung des persischen Königstitels „Schah“. Schach spielt im Vergleich zu allen anderen Spielen eine Sonderrolle: Es galt nie als verwerflicher Zeitvertreib, vielmehr war seine Beherrschung seit dem Mittelalter eine fürstliche Tugend. Heute ist es das einzige Brettspiel, das offiziell als Sport anerkannt ist.

Das 175. Jubiläum des „Hamburger Schachklubs von 1830“ ist nun der Anlass, im Museum für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung mit mehr als 400 Exponaten zu Geschichte und Erscheinung des königlichen Strategiesports zu zeigen.

Schach beruht grundsätzlich auf einer konfrontativen Auseinandersetzung, aber einer zivilisierten, geregelten. Nur einmal, Ende des 15. Jahrhunderts, wurde das Spiel reformiert. Seither blieben selbst kreative Regelveränderungen wie das „Koalitionsschach“ des Musikers Arnold Schönberg chancenlos. Und so traten sie gegeneinander an: Römer gegen Orientalen, Hindus gegen Muslime, Portugiesen gegen Chinesen, Preußen gegen Türken, Deutsche gegen Franzosen, Franzosen gegen Afrikaner, Bolschewiken gegen Weiße und gar Gulagwärter gegen Gefangene. So viel grausame Kriegsvarianten, so viel hübsch gestaltetes Kriegsspiel.

Eigentlich ist die Strategie im Schach abstrakt, es braucht kein Abbild von August dem Starken aus Porzellan als König, es braucht keine genau identifizierbaren Truppen auf dem Spielbrett. So erfindet das Spiel in der so umfangreichen Geschichte menschlicher Auseinandersetzungen niemals realisierte Gegnerschaften wie die der Türken gegen die Indianer. Spieler, die die Figuren nicht nur zur Zierde haben, verwirrt die detailreiche und kunstvolle Gestaltung ganzer Miniaturheere eher. So sind wie die allerältesten islamischen Spielfiguren auch die neueren seit der Aufklärung meist nur geometrische Formen.

Das Schachbrett ist in seinen Spielmöglichkeiten fast unerschöpflich. Der Gang durch die Ausstellung von den schlichten arabischen Bergkristallformen über verblüffende Wunderkammerstücke und prächtige chinesische und indische Exportfiguren des 19. Jahrhunderts bis zu den Entwürfen moderner Künstler wie Max Ernst und Man Ray zeigt, dass es ein ebenso weites Spielfeld für Designer ist. Denn die 32 Figuren sind in sechs unterschiedlichen Formen zu gestalten, die aber dennoch ein zusammengehöriges Gesamtbild ergeben sollen. Egal ob der Schachhofstaat figürlich oder symbolisch-abstrakt zu kleinen Kunstwerken gemacht wird, immer wieder reizt über alle Formphantasien hinaus auch die Konfrontation der den beiden Partien zugeordneten Materialien: Elfenbein steht gegen Ebenholz, Gold gegen Silber und gar Rubine gegen Smaragde.

Trotz seines hohen Ansehens, trotz der umfangreichen erläuternden Schachliteratur seit dem Mittelalter – 1283 schon schrieb König Alfons der Weise von Kastilien das „Buch der Spiele“ – wird Schach auch immer wieder erotisch gedeutet. Das liegt zum einen ganz praktisch daran, dass das gesellschaftlich zugelassene Schachspiel Männern und Frauen eine scheinbar unverfängliche, aber durchaus anspielungsreiche Möglichkeit bot, einander näher zu kommen. Zudem ist ein Strategiespiel sicher auch im Sinne des „Krieges der Geschlechter“ deutbar.

So zeigt ein in der Ausstellung zentral gehängtes Bild von Padovanino ein Schachspiel zwischen Venus und Mars. Das um 1630 gemalte, spätmanieristische Bild strotzt geradezu von erotischen Anzüglichkeiten und ist eines von mehreren Bildern, in denen Schach als Accessoire eines luxuriösen Lebens dargestellt wird. Wem es mehr nach spielerischer Praxis gelüstet, der kann in einem separaten Raum der Ausstellung auch ganz konkret mit kompetenten Schachklubmitgliedern sein Spiel verbessern.

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; Museum für Kunst und Gewerbe; bis 28. August