Rechts gegen Rechts: Gewalt in der Szene

Wegschauen geht nicht: 25 Prozent mehr Neonazis haben die Verfassungsschützer im vergangenen Jahr gezählt. Für die taz nord beobachtet Andreas Speit den rechten Rand. Kontinuierlich.

Selten reden die neonazistischen Kader über psychischen Druck und physische Gewalt in der „nationalen Opposition“. Stattdessen schwärmen die Funktionäre der NPD oder den „Freien Kameradschaften“ immer wieder von Kameradschaft, „die mehr als Freundschaft ist“, und loben den „echten Zusammenhalt“.

„Die erzählen viel von Kameradschaft. Erlebt habe ich sie kaum“, sagt Patrick B. Und Martin S. berichtet: „Hart und ehrlich stellte ich mir die Szene vor. Hart ging es dann auch zur Sache, aber eben auch untereinander.“ An die Öffentlichkeit, sagen die beiden Aussteiger aus der norddeutschen Neonaziszene, dringen diese Übergriffe kaum. Selbst wenn diese Gewalttaten mal vor Gericht verhandelt werden, erschwert der Ehrenkodex die Aufklärung. „Bei Bullen und Justiz verrät man keine Kameraden.“ So auch in Neumünster.

Seit vergangener Woche stehen vor dem schleswig-holsteinischen Amtsgericht die Neonazis Martin E. und Sven S. wegen des Verdachtes der gefährlichen Körperverletzung. Zusammen mit zwei weiteren Rechten sollen sie in der Nacht vom 22. Oktober 2003 ihren Kameraden Stefan R. in dessen Haus überfallen haben. Sie versuchten von ihm einen Mietvertrag zu erzwingen. Denn in R.s Haus wollte Martin E., Mitglied der NPD und Anti-Antifa-Fotograf der „Freien Kameradschaften“, eine rechte Wohngemeinschaft gründen. Doch als Stefan R. von der Zusage zurücktrat, fühlten sich seine politischen Freunde „verladen“. So geht es aus den Vernehmungen bei der Polizei hervor; vor Gericht tritt indes Schweigen ein – die Zeugen mussten polizeilich vorgeführt werden.

Am Freitag musste denn auch der Richter den Zeugen Adam K. mehrmals ermahnen auszusagen. Der 19-Jährige, der seit kurzem in einer Jugendvollzugsanstalt einsitzt, wiederholte jedoch nur: „Kann mich nicht erinnern.“ Laut den Vernehmungen hat Adam K. damals bei Stefan R. übernachtet. Nach einem vereinbarten Klopfzeichen öffnete er für die vier Kameraden ein Dachfenster. Im Wohnzimmer fielen sie dann über ihren Freund Stefan R. her, knebelten ihn mit einem Paketband, schlugen und traten auf ihn ein. Mit einem Strick, den sie ihm um den Hals legten, würgten sie ihn. „Die zogen nicht so dolle. Abnippeln konnte er nicht“, sagte Adam K. bei der Polizei.

Auch der Zeuge Frank S. bleib vor Gericht wortkarg. Stefan R. kenne er „von Feten“, mehr sagte er nicht. Der 27-jährige Martin E. scheint erleichtert. Ebenso der 25 Jahre alte Sven S., der seine ersten Aussagen bei der Polizei widerrief. Vor allem dass ihr Opfer, trotz richterlicher Anordnung, der Verhandlung fernbleibt, erfreut sie. Stefan R. wolle nichts aussagen. „Er hat damit abgeschlossen“, weiß einer der Verteidiger.

Dieses Verhalten kennen die Aussteiger. „Der Gruppendruck ist groß. Man macht mit und hält die Klappe“, sagt Patrick B. „Kumpels verrät man nicht“, betont Martin S., „selbst wenn man sich mal was eingefangen hat.“ Solche Gewaltakte können den Einzelnen an die Gruppe binden, und der emotionale Zusammenhalt wird wegen der strafrechtlichen Bedrohung oft noch verstärkt. Gewalt ist nicht nur am „Rechten Rand“ allgegenwärtig. Die spezifische ideologische Aufladung verleihe der Gewalt jedoch einen „fundamentalen Doppelcharakter“, so der Politikwissenschaftler Michael Kohlstruck: Sie sei sowohl „aggressive Selbstdarstellung“ als auch „Ausdruck einer politischen Haltung“.

Am Mittwoch geht die Verhandlung weiter.